Zitat von Regenaffe:
Theoretische Temporalistik
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Zeit = vierte Dimension?
Die Zeit als vierte Dimension... So heißt es, wenn man die Rede auf Einstein bringt. Viele haben sich daran gewöhnt, gedankenlos zu reden. Tatsächlich wurde die Auffassung, Zeit als vierte Dimension zu betrachten, eine ganze Weile vor Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie geäußert. H. G. Wells läßt in seinem Roman The Time Machine den Helden der Geschichte sagen. "there is no difference between time and any of the three dimensions of space, except that our consciousness moves along it."
Doch was eine vierte Dimension ist, vermag sich kaum jemand vorstellen. Rechnerisch lassen sich gewisse Phänomene gut beschreiben, sie zu begreifen, ist eine andere Geschichte. Seit den letzten 25 Jahren gibt es ernstzunehmende Ansätze, das Thema "Zeitreise" wissenschaftlich zu untersuchen und formal zu beschreiben. Ihren Ausgang nahm die Diskussion mit einer Science-Fiction-Erzählung des Astronomen Carl Sagan yyy. Er beschreibt darin eine Raum-/Zeitreise, die er im Streben nach wissenschaftlicher Genauigkeit vom Physiker Kip Thorne prüfen ließ. Zu aller Erstaunen zeigte sich, daß Sagans Phantasie keine formalen Fehler enthielt, und daß zumindest aus physikalischen Gründen nichts gegen die beschriebene Art der Zeitreise spricht. Damit ist allerdings noch kein technischer Lösungsweg vorgezeichnet. Die Aerodynamik erlaubt das Fliegen "schwerer als Luft", gibt aber durch diese Aussage ebensowenig den Bauplan eines modernen Flugzeuges.
Ich stelle hier ein paar Ideen vor, wie eine "Zeitmaschine" aufgebaut sein könnte. Da man sich ohnehin als Spinner entlarvt, wenn man von so abstrusen Dingen wie Zeitreise, Antischwerkraft und Ähnlichem redet, kann ich mich hier guten Gewissens zurücklehnen und meine Theorie erarbeiten. Wenn schon spinnen, dann richtig! Die hier zur Diskussion vorgestellten Ansätze versuchen, nicht nur die Theorie vorzustellen, sondern auch ein Mengengerüst zu liefern, wie eine "Zeitmaschine" aufgebaut sein könnte. Wir müssen uns bewußt sein, daß die von uns erdachten Maschinen sehr primitiv sein können. Das soll uns aber nicht beunruhigen. Der Blick zurück in die Technikgeschichte zeigt, daß das Fahrzeug eines Carl Benz auch eher eine Kreuzung aus Fahrrad und Kutsche mit Hilfsmotor war. Die Benzsche Konstruktion ist von der Zweckmäßigkeit geprägt, von einem Ort zum anderen zu fahren. Wir dürfen sie nicht mit den Maßstäben eines modernen Oberklasse-PKWs messen, zumal es kaum vorstellbar ist, ein solches Fahrzeug in einem einzigen technischen Innovationssprung zu erschaffen.
Die Faszinaziton des Themas ist schwer beschreiblich. Sie kommt vermutlich vom Gedanken, des "was wäre wenn...?" Die SF-Literatur ist voller Beispiele von Szenarien, in denen Zeitparadoxe geschaffen werden. Ob sie möglich sind, ist eine der Fragen, die hier untersucht werden soll.
Unser Ziel ist bescheiden. Sie wissen schon: "the life, the universe and everything".
Voraussetzungen
Wie immer unvermeidlich: Ein paar Voraussetzungen zum leichteren Arbeiten. Oft werden Voraussetzungen wie diese stillschweigend angenommen. Wir wollen jedoch ganz bewußt unser Instrumentarium kennen und korrekt einsetzen.
Die Hauptsätze der Thermodynamik sind gültig
Der Energieerhaltungssatz ist gültig.
Wir verlassen nicht ohne zwingende Gründe allgemein anerkannte physikalische Gesetzmäßigkeiten, wie z.B. das Kausalitätsprinzip.
Wir arbeiten, wo formale Beschreibungen nötig sind, nach den anerkannten Regeln der Mathematik.
Ockhams Rasiermesser: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem Wir schaffen nicht mehr Hypothesen und Annahmen, als unbedingt nötig. Wenn wir einen Ansatz ohne neue Hypothesen verfolgen können, dann wählen wir diesen Ansatz. Arbeitshypothesen werden nach Möglichkeit so getroffen, daß sie plausibel erscheinen und nicht gegen die anderen hier genannten Voraussetzungen verstoßen.
Alle Annahmen und Ergebnisse müssen in sich schlüssig sein. Wir streben Widerspruchsfreiheit unnd Konsistenz unserer Arbeit an. Wenn wir Arbeitsannahmen machen, dann werden wir im Verlauf unserer Arbeit prüfen, ob frühere Annahmen mit dem Fortschritt der Arbeit verträglich sind. Falls nicht, so müssen entweder die letzten Schritte rückgängig gemacht werden (also z.B. die letzte Arbeitsannahme verworfen werden) oder wir unterziehen frühere Annahmen einer geeigneten Modifikation.
Anforderungen
Bevor wir uns an die Arbeit machen, sollten wir uns im Klaren drüber sein, welche technischen Ziele wir erreichen wollen. Wir müssen uns aber auch bewußt machen, daß manche dieser Ziele evtl. nicht vollständig erreicht werden können.
Reise vorwärts in der Zeit
Reise rückwärts in der Zeit
Informationstransport vom Ausgangs- zum Zielpunkt der Zeitreise
Bauanleitung 1
Bevor wir lange theoretisieren, bauen wir gleich eine Zeitmaschine, damit wir anschließend die Theorie umso genauer erarbeiten können. Motiviert durch ein frühes Erfolgserlebnis, wird uns die weitere Arbeit leichter fallen.
Man nehme einen geräumigen Karton - vielleicht von einer Waschmaschine - und schneide mit einem scharfen Messer den oberen Teil ab. Eine Seite definieren wir als "vorne". Hier führen wir zwei kurze senkrechte Schnitte und klappen einen Teil nach innen, damit wir unsere Instrumentierung übersichtlich unterbringen können. Wir benötigen dazu zwei Uhren, billige Wecker aus dem Restekaufhaus sind gut genug. Die beiden Uhren werden auf dem "Instrumentenbrett" so angebracht, daß sie gut ablesbar sind. Über die eine Uhr schreiben wir "subjektive Zeit", über die andere "reale Außenzeit". Vor der Zeitreise werden die beiden Uhren synchronisiert.
Ins Innere der Schachtel sollten wir ein, zwei weiche Kissen legen; unerläßlich für das Funktionieren des Mechanismus ist das nicht. Wer in der Schachtel Platz nimmt, kann nun im beschaulichem Tempo in die Zukunft reisen. Ich empfehle bei längeren Reisen die Mitnahme von etwas Proviant und eines Buches (wie wäre es mit Walter Moers' "Dreizehneinhalb Leben des Käptn Blaubär"? Man muß schließlich auf Ökonomie achten. Viel Zeitvertreib mit einem Buch!).
Kritik an der Bauanleitung 1
Da die eben genannte Konstruktion technisch sehr einfach ist, läßt sie einige grundlegende Wünsche offen. Zum Einen ist nur ein Teil der Basisanforderung gelöst, da die Maschine nur Reisen in die Zukunft gestattet. Zum anderen ist die Reisegeschwindigkeit unbefriedigend; da könnte man sich ja gleich die Arbeit sparen und statt des Maschinenbaus auch einen bequemen Sessel kaufen. Ich gebe zu: Ein Sessel tut's auch. Mit einem guten Buch und einem Glas Wein kann die Zeitreise ziemlich viel Spaß machen, aber in diesem Fall ist die Durchquerung der Zeit nur höchst untergeordnet.
Ich bin vom Thema abgekommen...
Zu voreilig sollten wir das erste Versuchsmuster nicht in den Schuppen stellen. Wir wollen daraus lernen: Warum ist die Reisegeschwindigkeit unbefriedigend? Und überhaupt: was wollen wir in diesem Zusammenhang unter "Reisegeschwindigkeit" verstehen?
Unversehens geraten wir in Definitionsnot. Man könnte sich vorstellen, einen Reisefaktor zu definieren, so etwas wie "10 Sekunden subjektive Zeit für 1 Stunde reale Zeit". Das ist ganz pragmatisch und scheint als Definition brauchbar: ts := subjektive Zeit
ta := reale Außenzeit
R := ts/ta
Positive Werte stellen offenbar eine Reise in die Zunkunft dar, während negative Werte in die Vergangenheit weisen. Wo wir das "Minus" hinschreiben, vor ts oder ta müssen wir uns noch überlegen. Die Reise mit unserer Prototyp-Maschine erfolgte demnach mit einem Reisefaktor von R=1.
Arbeitshypothese 1
Für Reisen in die Vergangenheit soll ta negativ sein. Begründung: Denn würden wir ts negativ werden lassen, so würden wir uns bei der Reise gegen die Zeit verjüngen. Die nachstehende Fallunterscheidung zeigt, was uns blühte, würden wir mit der negativen Geschwindigkeit reisen: Reise in die Zukunft und zurück Wir hätten alle Erlebnisse vergessen, die wir im vergleichbaren Zeitintervall hatten und kommen mit demselben Erkenntnisstand wieder zum Ausgangspunkt zurück. Da wir damit auch unsere Reise vergessen haben, wiederholen wir den Entschluß, in die Zukunft zu reisen. Das können wir solange spielen, bis uns der Treibstoff der Zeitmaschine ausgeht, falls sich der nicht auch wieder bei der Rückreise ansammelt.
Reise in die Vergangenheit und zurück Wir vergessen, wie unsere Maschine funktioniert und landen vielleicht als Säugling in der Steinzeit - ohne Chance auf Rückkehr, allerdings auch ohne Wissen um den Verlust der Gegenwart. Die Bezugspersonen aus der Kindheit würden wir allerdings stark vermissen, ohne uns erklären zu können, wie wir an den merkwürigen Ort kamen.
Literarisch-filmischer Exkurs
Nachdem wir hier spinnen dürfen, ist es legitim, den Film "Die Zeitmaschine" von 1959 anzusehen. Der Film lehnt sich an die Vorlage von H.G. Wells an. Am Anfang des Films philosophiert eine Herrenrunde über das Wesen der Zeit und die Reise durch die Zeit. Der Held der Geschichte, der Erfinder der Zeitmaschine, zeigt ein kleines, aber funktionsfähiges Modell, das lebhaft an die Kreuzung eines Hundeschlittens mit einem waagerecht gelegten japanischen Schirm erinnert. Um zu beweisen,daß die Maschine wirklich durch die Zeit reist, wird die Maschine in Betrieb gesetzt, die daraufhin den Blicken entschwindet.
xxxx
Eine Zeitreise könnte aus dem Inneren der Maschine dann so aussehen: Mit einem Einstellhebel oder "Gaspedal" erhöhen wir den Reisefaktor R und die Außenwelt schnurrt immer rascher an uns vorbei, ähnlich wie in einem Zeitraffer. Im Film "Die Zeitmaschine" ist das sehr schön zu beobachten. Der Titelheld unternimmt immer ausgedehntere Fahrten, wobei er den Reisefaktor immer größer wählt. Besonders hübsch ist die Kameraeinstellung, die dem Zeitreisenden - samt Zeitmaschine - von außen zeigt, wie er durch die Zeitläufte rast. Ist das mit unseren Annahmen bzw. mit der Diskussion am Anfang des Filmes vereinbar?
Wie ist das eigentlich mit dem Zeitraffer-Effekt? Da uns das Innere der Garage langweilig erscheint, stellen wir unsere Maschine an einem schönen sonnigen Tag ins Freie. Wenn wir einen Reisefaktor von z.B. 10 einstellen könnten und stetig voranreisen, dann liefe alles um uns deutlich beschleunigt ab: Menschen und Autos huschen durchs Gesichtsfeld, die Sonne bewegt sich merklich am Himmel. Doch sähen wir das wirklich so? Nehmen wir an, unsere Maschine gestattet einen Blick auf die Welt und reist stetig vor sich hin. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die Maschine samt Inhalt nicht während der gesamten Reise für Außenstehende sichtbar bleibt, nur wir als Zeitreisende würden alle Bewegungen in Zeitlupe ausführen. Ich habe hier schlicht eine Symmetrieannahme gemacht. Bleiben wir kurz bei der Sicht von außen. Auf jede beleuchtete Fläche der Maschine scheint nach wie vor dieselbe Menge Sonnenlicht pro Zeiteinheit. Im Inneren der Maschine kommt dieses Licht durch die Sichtscheibe.
Arbeitshypothese 3
Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Energieerhaltungssatz gelten auch für Zeitmaschinen.
Folgerung aus Arbeitshypothese 3
Wir haben jetzt ein Problem: Bei unserem angenommenen Reisfaktor von 10 erhalten wir nicht nur die zehnfache Lichtmenge pro Zeiteinheit, sondern die Wellenlänge des Lichtes ist ebenfalls nur noch ein Zehntel. Damit verschiebt sich das gesamte sichtbare Spektrum kräftig ins Ultraviolette, während die Gegenstände der Außenwelt nur noch anhand ihrer nun sichtbaren Wärmestrahlung des Infrarot erkennbar sind. Da die spektrale Verteilung des Sonnenlichtes nicht gleichmäßig ist, erscheint die Welt sicher in sehr seltsamen Farben. Was uns aber weit mehr beunruhigen sollte, ist die Energiemenge, die unser Vehikel und auch wir in unserer subjektiven Zeit bekommen. Wir wollen nämlich weder geröstet werden, noch uns innerhalb von Augenblicken UV-Verbrennungen zuziehen.
Wie wir die reale Außenzeit in den Griff kriegen, ist eine andere Geschichte, aber wir können uns ja Zeit lassen...
Arbeitshypothese 2
Wir streben an, auf derselben Stelle zu verharren, während wir uns in der Zeit bewegen. Das hat ganz pragmatische Gründe. Man stelle sich vor, wir hätten die Maschine in unserer Garage in aller Heimlichkeit fertiggebaut und reisen ein wenig in die Vergangenheit. Malen Sie sich aus, was passieren könnte, wenn wir mit unserer Maschine versehentlich im Gemüsegarten des spanischen Großinquisitors landeten! Besser, wir bleiben hübsch in unserer Garage und reisen tunlichst nicht zu weit zurück. Aus dem gleichen Grunde sollten wir mit der Zukunft vorsichtig sein. Niemand garantiert uns, daß die Garage nach 100 Jahren immer noch am selbem Fleck ist - im Vertrauen gesagt: ich glaub's nicht.
Folgerung aus Arbeitshypothese 2
Die Anforderung, sich örtlich nicht zu verändern, wirft einige Schwieigkeiten auf, die wir näher untersuchen wollen. Holen wir nochmal unsere erste Maschine hervor. Mit ihr war nicht nur ein gemütliches Zeitreisen möglich; sie hatte auch den entscheidenden Vorteil, an derselben Stelle (z.B. unserer Garage) zu verharren. Blieb sie dabei wirklich an derselben Stelle?
Seit Kopernikus setzte sich die Erkenntnis durch, daß sich das Universum nicht um die Erde dreht. Vielmehr dreht sich die Erde um ihre eigene Achse. Zusätzlich läuft sie innerhalb eines Jahres auf einer nahezu elliptischen Bahn um die Sonne.
Betrachten wir einmal nur die Erdrotation. Die Erde rotiert innerhalb von 24 Stunden einmal um sich selbst. Bei einem Erdumfang von (gerundet) 40000km ergibt sich eine Tangential-geschwindigkeit am Äquator von 40000km/24h = 1667km/h
Wenn wir unser Vorhaben in Mitteleuropa durchführen, müssen wir auf der geographischen Breite von z.B. München von 49° mit folgender Tangentialgeschwindigkeit rechnen: vt = 1667km/h cos(49°) = 1093km/h
Warum rutscht bei diesen beträchtlichen Geschwindigkeiten nicht alles von der Erdoberfläche ab? Die Antwort ist einfach: Die Schwerkraft hält uns am Boden der Tatsachen fest - und die Luft rotiert mit der Erde mit. Aus dem Unterschied der Tangentialgeschwindigkeiten an Pol und Äquator ergeben sich Luftströmungen, die für unser Wetter verantwortlich sind. Die Luft "rutscht" offenbar doch ein wenig auf der Erdoberfläche.
Bauanleitung 2
Mit allen bisher gesammelten Erkenntnissen wollen wir den Bau einer zweiten Maschine angehen. Sie technisch deutlich aufwendiger.
Erläuterung zu den Ziffern:
Fahrgestell, um die Maschine ggf. eine kleine Strecke verschieben zu können.
Bodenanker mit Sicherungsseil, damit die Maschine während der Fahrt nicht abheben kann
Druckkabine
Instrumententafel:
Reisefaktor-Einstellhebel
Uhr für Reisezeit
Uhr für reale Außenzeit
Kontrollbildschirm für Kamera und Außensensorik
Träger für Außensensorik: Uhr, Kamera
Antriebsaggregat
Funkempfänger, Fernseher, Stereoanlage
Außenantenne
Kritik an Bauanleitung 2
Die Frage des Antriebes ist ungelöst. Die Maschine gestattet deshalb zunächst nur einen Reisefaktor von 1 und ist damit kein nachhaltiger Fortschritt gegenüber der ersten Maschine.
Die wesentliche zusätzliche Kritik richtet sich auf den Aufwand. Die Maschine ist eine Kreuzung aus Raumschiff und Auto geworden, weil wir immer vorausgesetzt haben, daß ein betragsmäßig von 0 verschiedener Reisefaktor R vorliegt, den wir innerhalb gewisser Grenzen stetig variieren können. In anderen Worten: Die Reise mit der primitiven Maschine (Versuchsmuster 1) hat uns zur Annahme verführt, daß eine Zeitreise stetig erfolgt. Diese Annahme haben wir nirgendwo in die Sammlung der Arbeitshypothesen aufgenommen.
Kritik an Definition 1: Reisefaktor
Bislang gingen wir davon aus, daß eine Zeitreise ein stetiger Prozeß ist. Ähnlich wie beim Autofahren können wir die Geschwindigkeit innerhalb gewisser technischer Grenzen von 0 ab beliebig variieren und über die Richtung der Fahrt entscheiden. Allein die Arbeitshypothese bzgl. Lichtgeschwindigkeit und Energieerhaltungssatz zwingt uns, ein Reiseverfahren zu finden, das uns Sprünge erlaubt, wollen wir nicht bei lebendigem Leib geröstet oder von der Schwerkraft zermalmt werden.
Zeitsprünge
Eine Zeitmaschine könnte nicht nur stetig reisen, sondern in Sprüngen. Keine der bisherigen Annahmen verlangt, daß die Maschine für Außenstehende permanent sichtbar ist und das Leben in der Maschine quasi im Zeitlupentempo betrachtbar ist. Genausogut kann man sich eine Apparatur vorstellen, in der die Zielkoordinaten eingestellt werden, anschließend drückt man aufs Knöpfchen und - peng - die Maschine ist weg und kommt ebenso geräuschvoll wieder in der Zukunft oder Vergangenheit irgendwo zu Vorschein. Das eben geschilderte Szenario bedarf einiger Überlegungen und Erklärungen.
Verschwinden und Erscheinen der Maschine
Falls die Maschine, wie angenommen, nahezu instantan entschwindet, bleibt ein Loch. Ein Loch in der Luft zum Beispiel. Der Luftdruck sorgt dafür, daß sich dieses Vakuum schnell füllt. Die Geräuschentwicklung bei dieser Implosion wird beträchtlich sein. Schwerwiegender sind allerdings die möglichen Effekte, die beim schlagartigen Erscheinen der Maschine zu bedenken sind. Was passiert mit der Luft, die zum betreffenden Zeitpunkt den Landeplatz einnimmt? Die Physik lehrt unmißverständlich, daß ein Platz nur von einem Objekt eingenommen werden kann, aber nicht von zweien gleichzeitig. Mögliche Szenarien sind:
Innerhalb der Maschine findet sich schlagartig das entsprechende Luftvolumen wieder. Der Chrononaut muß mit Trommelfellschäden rechnen.
Die Luft wird verdrängt und verursacht eine Stoßwelle.
Die Koordinateneinstellungen der Maschine stimmen nicht exakt mit dem geplanten Zielort zusammen. Der Zeitreisende findet sich unversehens unter einem Bergmassiv oder innerhalb einer Sonne wieder. Die Konsequenzen sind, verglichen mit den vorigen Alternativen, sehr unangenehm.
Einstellen der Koordinaten
Wir erinnern uns an die Betrachtungen zum Lauf der Erde durch das Weltall. Ich habe vorhin lakonisch von der Einstellung der Zielkoordinaten geschrieben und stillschweigend vorausgesetzt, daß hier Ort und Zeit des Wiedererscheinens der Maschine angegeben werden. Eine einfache Überlegung zeigt, daß dies nicht ausreicht. Bei dem Ort muß mindestens ein Geschwindigkeitsvektor angegeben werden, der beschreibt, wie die Maschine sich mit der Bewegung des angenommenen Landepunktes zu bewegen habe.
Energiebilanz
Angenommen, die genannte Maschine sei technisch durchführbar. Die Maschine habe - samt Pilot, Treibstoff und sonstigen Betriebsmitteln - die Masse m0. Mittels des Antriebes entschwindet diese Masse der Gegenwart, um irgendwo in der Zeit wieder zu erscheinen. Der Energieerhaltungssatz, den wir ohne zwingenden Grund nicht aufgeben wollen, fordert, daß die Energie eines geschlossenen Systems konstant bleiben muß. Im Extremfall müssen wir dieses System aufs gesamte Universum ausdehnen. Das Entschwinden der Maschine entspräche folglich einen Energieverlust von m0c2. Die Energie ist freilich nicht ganz verloren, den irgendwann/irgendwo erscheint die Maschine wieder und die Energiebilanz ist ausgeglichen. Wirklich?
Basteleien für lange Winterabende
Anforderungen
Bevor wir uns an die Arbeit machen, sollten wir uns im Klaren drüber sein, welche technischen Ziele wir erreichen wollen. Wir müssen uns aber auch bewußt machen, daß manche dieser Ziele evtl. nicht vollständig erreicht werden können.
Reise vorwärts in der Zeit
Reise rückwärts in der Zeit
Informationstransport vom Ausgangs- zum Zielpunkt der Zeitreise
Bauanleitung 1
Bevor wir lange theoretisieren, bauen wir gleich eine Zeitmaschine, damit wir anschließend die Theorie umso genauer erarbeiten können. Motiviert durch ein frühes Erfolgserlebnis, wird uns die weitere Arbeit leichter fallen.
Man nehme einen geräumigen Karton - vielleicht von einer Waschmaschine - und schneide mit einem scharfen Messer den oberen Teil ab. Eine Seite definieren wir als "vorne". Hier führen wir zwei kurze senkrechte Schnitte und klappen einen Teil nach innen, damit wir unsere Instrumentierung übersichtlich unterbringen können. Wir benötigen dazu zwei Uhren, billige Wecker aus dem Restekaufhaus sind gut genug. Die beiden Uhren werden auf dem "Instrumentenbrett" so angebracht, daß sie gut ablesbar sind. Über die eine Uhr schreiben wir "subjektive Zeit", über die andere "reale Außenzeit". Vor der Zeitreise werden die beiden Uhren synchronisiert.
Ins Innere der Schachtel sollten wir ein, zwei weiche Kissen legen; unerläßlich für das Funktionieren des Mechanismus ist das nicht. Wer in der Schachtel Platz nimmt, kann nun im beschaulichem Tempo in die Zukunft reisen. Ich empfehle bei längeren Reisen die Mitnahme von etwas Proviant.
Kritik an der Bauanleitung 1
Da die eben genannte Konstruktion technisch sehr einfach ist, läßt sie einige grundlegende Wünsche offen. Zum Einen ist nur ein Teil der Basisanforderung gelöst, da die Maschine nur Reisen in die Zukunft gestattet. Zum anderen ist die Reisegeschwindigkeit unbefriedigend; da könnte man sich ja gleich die Arbeit sparen und statt des Maschinenbaus auch einen bequemen Sessel kaufen. Ich gebe zu: Ein Sessel tut's auch. Mit einem guten Buch und einem Glas Wein kann die Zeitreise ziemlich viel Spaß machen, aber in diesem Fall ist die Durchquerung der Zeit nur höchst untergeordnet. Ich bin vom Thema abgekommen...
Zu voreilig sollten wir das erste Versuchsmuster nicht in den Schuppen stellen. Wir wollen daraus lernen: Warum ist die Reisegeschwindigkeit unbefriedigend? Und überhaupt: was wollen wir in diesem Zusammenhang unter "Reisegeschwindigkeit" verstehen?
Unversehens geraten wir in Definitionsnot. Man könnte sich vorstellen, einen Reisefaktor zu definieren, so etwas wie "10 Sekunden subjektive Zeit für 1 Stunde reale Zeit". Das ist ganz pragmatisch und scheint als Definition brauchbar: ts := subjektive Zeit
ta := reale Außenzeit
R := ts/ta
Positive Werte stellen offenbar eine Reise in die Zunkunft dar, während negative Werte in die Vergangenheit weisen. Wo wir das "Minus" hinschreiben, vor ts oder ta müssen wir uns noch überlegen. Die Reise mit unserer Prototyp-Maschine erfolgte demnach mit einem Reisefaktor von R=1.
Arbeitshypothese 1
Für Reisen in die Vergangenheit soll ta negativ sein. Begründung: Denn würden wir ts negativ werden lassen, so würden wir uns bei der Reise gegen die Zeit verjüngen. Die nachstehende Fallunterscheidung zeigt, was uns blühte, würden wir mit der negativen Geschwindigkeit reisen: Reise in die Zukunft und zurück Wir hätten alle Erlebnisse vergessen, die wir im vergleichbaren Zeitintervall hatten und kommen mit demselben Erkenntnisstand wieder zum Ausgangspunkt zurück. Da wir damit auch unsere Reise vergessen haben, wiederholen wir den Entschluß, in die Zukunft zu reisen. Das können wir solange spielen, bis uns der Treibstoff ausgeht, falls sich der nicht auch wieder bei der Rückreise ansammelt.
Reise in die Vergangenheit und zurück Wir vergessen, wie unsere Maschine funktioniert und landen vielleicht als Säugling in der Steinzeit - ohne Chance auf Rückkehr, allerdings auch ohne Wissen um den Verlust der Gegenwart. Die Bezugspersonen aus der Kindheit würden wir allerdings stark vermissen, ohne uns erklären zu können, wie wir an den merkwürigen Ort kamen.
Literarisch-filmischer Exkurs
Nachdem wir hier spinnen dürfen, ist es legitim, den Film "Die Zeitmaschine" von yyy anzusehen. Der Film leht sich an die Vorlage von H.G. Wells an. Am Anfang des Films philosophiert eine Herrenrunde über das Wesen der Zeit und die Reise durch die Zeit. Der Held der Geschichte, der Erfinder der Zeitmaschine, zeigt ein kleines, aber funktionsfähiges Modell, das lebhaft an die Kreuzung eines Hundeschlittens mit einem waagerecht gelegten japanischen Schirm erinnert. Um zu beweisen,daß die Maschine wirklich durch die Zeit reist, wird die Maschine in Betrieb gesetzt, die daraufhin den Blicken entschwindet.
Arbeitshypothese 3
Die Konstanz der Lichgeschwindigkeit und der Energieerhaltungssatz gelten auch für Zeitmaschinen.
Folgerung aus Arbeitshypothese 3
Wir haben jetzt ein Problem: Bei unserem angenommenen Reisfaktor von 10 erhalten wir nicht nur die zehnfache Lichtmenge pro Zeiteinheit, sondern die Wellenlänge des Lichtes ist ebenfalls nur noch ein Zehntel. Damit verschiebt sich das gesamte sichtbare Spektrum kräftig ins Ultraviolette, während die Gegenstände der Außenwelt nur noch anhand ihrer nun sichtbaren Wärmestrahlung des Infrarot erkennbar sind. Da die spektrale Verteilung des Sonnenlichtes nicht gleichmäßig ist, erscheint die Welt sicher in sehr seltsamen Farben. Was uns aber weit mehr beunruhigen sollte, ist die Energiemenge, die unser Vehikel und auch wir in unserer subjektiven Zeit bekommen. Wir wollen nämlich weder geröstet werden, noch uns innerhalb von Augenblicken UV-Verbrennungen zuziehen.
Wie wir die reale Außenzeit in den Griff kriegen, ist eine andere Geschichte, aber wir können uns ja Zeit lassen...
Arbeitshypothese 2
Wir streben an, auf derselben Stelle zu verharren, während wir uns in der Zeit bewegen. Das hat ganz pragmatische Gründe. Man stelle sich vor, wir hätten die Maschine in unserer Garage in aller Heimlichkeit fertiggebaut und reisen ein wenig in die Vergangenheit. Malen Sie sich aus, was passieren könnte, wenn wir mit unserer Maschine im Gemüsegarten des spanischen Großinquisitors landeten! Besser, wir bleiben hübsch in unserer Garage und reisen tunlichst nicht zu weit zurück. Aus dem gleichen Grunde sollten wir mit der Zukunft vorsichtig sein. Niemand garantiert uns, daß die Garage nach 100 Jahren immer noch am selbem Fleck ist - im Vertrauen gesagt: ich glaub's nicht.
Folgerung aus Arbeitshypothese 2
Die Anforderung, sich örtlich nicht zu verändern, wirft einige Schwieigkeiten auf, die wir näher untersuchen wollen. Holen wir nochmal unsere erste Maschine hervor. Mit ihr war nicht nur ein gemütliches Zeitreisen möglich; sie hatte auch den entscheidenden Vorteil, an derselben Stelle (z.B. unserer Garage) zu verharren. Blieb sie dabei wirklich an derselben Stelle?
Seit Kopernikus setzte sich die Erkenntnis durch, daß sich das Universum nicht um die Erde dreht. Vielmehr dreht sich die Erde um ihre eigene Achse. Zusätzlich läuft sie innerhalb eines Jahres auf einer nahezu elliptischen Bahn um die Sonne.
Betrachten wir einmal nur die Erdrotation. Die Erde rotiert innerhalb von 24 Stunden einmal um sich selbst. Bei einem Erdumfang von (gerundet) 40000km ergibt sich eine Tangential-geschwindigkeit am Äquator von 40000km/24h = 1667km/h
Wenn wir unser Vorhaben in Mitteleuropa durchführen, müssen wir auf der geographischen Breite von z.B. München von 49° mit folgender Tangentialgeschwindigkeit rechnen: vt = 1667km/h cos(49°) = 1093km/h
Warum rutscht bei diesen beträchtlichen Geschwindigkeiten nicht alles von der Erdoberfläche ab? Die Antwort ist einfach: Die Schwerkraft hält uns am Boden der Tatsachen fest - und die Luft rotiert mit der Erde mit. Aus dem Unterschied der Tangentialgeschwindigkeiten an Pol und Äquator ergeben sich Luftströmungen, die für unser Wetter verantwortlich sind. Die Luft "rutscht" offenbar doch ein wenig auf der Erdoberfläche.
Bauanleitung 2
Mit allen bisher gesammelten Erkenntnissen wollen wir den Bau einer zweiten Maschine angehen. Sie technisch deutlich aufwendiger.
Erläuterung zu den Ziffern:
Fahrgestell, um die Maschine ggf. eine kleine Strecke verschieben zu können.
Bodenanker mit Sicherungsseil, damit die Maschine während der Fahrt nicht abheben kann
Druckkabine
Instrumententafel:
Reisefaktor-Einstellhebel
Uhr für Reisezeit
Uhr für reale Außenzeit
Kontrollbildschirm für Kamera und Außensensorik
Träger für Außensensorik: Uhr, Kamera
Antriebsaggregat
Funkempfänger, Fernseher, Stereoanlage
Außenantenne
Kritik an Bauanleitung 2
Die Frage des Antriebes ist ungelöst. Die Maschine gestattet deshalb zunächst nur einen Reisefaktor von 1 und ist damit kein nachhaltiger Fortschritt gegenüber der ersten Maschine.
Die wesentliche zusätzliche Kritik rtichtet sich auf den Aufwand. Die Maschine ist eine Kreuzung aus Raumschiff und Auto geworden, weil wir immer vorausgesetzt haben, daß ein betragsmäßig von 0 verschiedener Reisefaktor R vorliegt, den wir innerhalb gewisser Grenzen stetig variieren können. In anderen Worten: Die Reise mit der primitiven Maschine (Versuchsmuster 1) hat uns zur Annahme verführt, daß eine Zeitreise stetig erfolgt. Diese Annahme haben wir nirgendwo in die Sammlung der Arbeitshypothesen aufgenommen.
Kritik an Definition 1: Reisefaktor
Bislang gingen wir davon aus, daß eine Zeitreise ein stetiger Prozeß ist. Ähnlich wie beim Autofahren können wir die Geschwindigkeit innerhalb gewisser technischer Grenzen von 0 ab beliebig variieren und über die Richtung der Fahrt entscheiden. Allein die Arbeitshypothese bzgl. Lichtgeschwindigkeit und Energieerhaltungssatz zwingt uns, ein Reiseverfahren zu finden, das uns Sprünge erlaubt, wollen wir nicht bei lebendigem Leib geröstet oder von der Schwerkraft zermalmt werden.
Literarische Temporalistik
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Zeit als Reisephänomen
Die Auffassung, Zeit als vierte Dimension zu betrachten, wurde eine ganze Weile vor Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie geäußert. H. G. Wells läßt in seinem Roman The Time Machine den Helden der Geschichte sagen. "there is no difference between time and any of the three dimensions of space, except that our consciousness moves along it." Wells' Roman markiert den Anfangspunkt der modernen Zeitreisegeschichten. In der Science Fiction Literatur nimmt die Zeitreise einen beträchtlichen Stellenwert ein, nicht zuletzt deshalb, weil sich durch die Konstruktion entsprechender Zeitparadoxa reizvolle Geschichten ausspinnen lassen.
Wird der Begriff der Zeitreise weiter gefaßt, dann muß tiefer in der Vergangenheit gegraben werden.
Was ist eigentlich Zeitreise? Unser technisch orientiertes Leben neigt dazu, sich zu jeder Art von Tätigkeit einer Hilfseinrichtung oder einer Maschine zu bedienen. Sei es, um die Bequemlichkeit zu fördern (Auto ersetzt Fußmarsch) oder den Zweck des Vorhabens überhaupt zu erzielen (Mit der Tauchglocke auf den Meeresgrund). Gerne wird übersehen, daß schon vor langer Zeit Konzepte des Blickes in die Zukunft geschaffen wurden. Nutzte man nicht schon früher die Fähigkeiten bestimmter Menschen, in die Zukunft zu sehen? Muß eine Zeitreise stets physisch erfolgen?
Viele Erzählungen des Altertums beschreiben, wie sich Personen der Hilfe eines Orakels oder eines Sehers versichern, um einen Blick in die Zukunft zu tun. Der Versuch, aus dem - oft dunklen - Orakelspruch Maximen des eigenen Handelns abzuleiten, endet in der Katastrophe: Gerade die Handlungsweise, die das zukünftige Geschehen abwenden soll, führt zum unerwünschten Ergebnis.
Stanislaw Lem
Stanislaw Lem, Pole, Jahrgang 1921. Lems Schreibart wird oft leichtfertig der Science Fiction zugeordnet, doch sein Werk enthält mehr als vordergründige Abenteuer, die der seichten Unterhaltung dienen. Ein wiederkehrendes Motiv in Lems Erzählungen ist die Zeitreise, sei sie vorsätzlich oder unbeabsichtigt.
Ion Tichy ist einer der Lemschen Helden: Ein weit herumgekommener Weltraumfahrer, dessen Erlebnisse in den Sterntagebüchern niedergelegt sind. Die Reisen sind numeriert, doch durch die Zeitreiseabenteuer sind sie weder in der Reihenfolge ohrer Numerierung niedergeschrieben, noch gibt es eine erste Reise. Dafür sind die neunzehnte und die einundzwanzgste Reise identisch.
Tichys Rakete ist, wie aus den unterschiedlichen Reisebeschreibungen zu erahnen ist, technisch weder auf dem neuesten Stand, noch besonders zuverlässig - ich scheue mich zu schreiben: "weltraumtauglicher Schrotthaufen". Doch der gewitzte Held arrangiert sich.
Stanislaw Lem: Sterntagebücher / die siebente Reise
In der neunzehnten Reise versagt Tichy die Steuerung seiner Rakete. Um sie zu reparieren, bräuchte Tichy einen Helfer, der den zweiten Schraubenschlüssel hält, um die alles entscheidende Mutter anzuziehen. Glücklicherweise befindet sich Tichy in der Nähe einer Sternformation, in der schon Fälle von Personenverdoppelungen, ja sogar -verdreifachungen beobachtet wurden. Mit Mühe korrigiert er ein wenig den Kurs und lenkt seine Rakete geradewegs in die Zeitstrudel.
Nun entspinnt sich eine ergötzliche Geschichte, in der sich der Held innerhalb von Zeitschleifen immer häufiger begegnet, sich mich sich selber streitet und ob seines Starrsinns schimpft. Tichy schlägt sich auf Umwegen im Verlauf der Reise eine kräftige Beule, belügt sich und futtert in einer Sekunde der seelischen Not schändlicherweise seinem vergangenem/zukünftigen Selbst seinen eisernen Vorrat an Schokolade weg. Und vor lauter Zeitparadoxa und Streitereien kommt er nie dazu, seine Steuerung zu reparieren. Zumal er übersehen hat, seinen Raumanzug vor der Verdoppelung anzuziehen, so daß im entscheidenden Moment nur ein Anzug vorhanden ist. Ein Mangel, der sich offenbar durch die Häufung der Zeitstrudel beheben ließe und dennoch: "...Eine Anzahl Personen hatte Beulen und ein blaues Auge, und fünf der Anwesenden trugen einen Raumanzug. Doch anstatt sofort durch die Klappe zu gehen, um den Schaden zu beheben, begannen sie zu streiten, zu feilschen, zu diskutieren und zu zanken..." [Sterntagebücher, S. 29] .Im Verlauf der Geschichte werden einige sehr interessante Aspekte deutlich:
Die Rakete ist zeitlich gefleckt - so die These Tichys - an einige Stellen herrscht noch Gegenwart, an anderen bereits die Zukunft.
Obwohl die technische Sachlage klar ist und der Fehler einfach behebbar, verstrickt sich der Protagonist in seiner eigenen Gedankenwirrnis
Tichy verdoppelt, vervielfältigt sich, aber nicht die Rakete! Ebensowenig der restliche Inhalt der Rakete. Weder die Schraubenschlüssel noch die Essensvorräte verdoppeln sich. Und ganz besonders nicht der Raumanzug, jedenfalls nicht ohne vorher angezogen worden zu sein.
Das wirft Fragen auf. Mit welchem Recht kann Tichy annehmen, daß sich der Raumanzug verdoppelt, wenn er ihn trägt? Verdoppelt sich z.B. die Armbanduhr des Raumfahrers? Die Stiefel oder die Kleidung? Was erheblich ungünstiger wäre: Gilt die Verdoppelung (nicht) für ein Gebiß oder gar einen Herzschrittmacher? Muß ein Gegenstand mit der Raumfahrer physisch verbunden sein, um die Verdoppelung zu erfahren? Aber warum dann nicht die Rakete? - schließlich ist Tichy mit ihr über seine Füße oder Hände verbunden. Fragen, die sich in ähnlicher Form stellen, will man eine Zeitmaschine bauen. vgl. dazu abgewandte Temporalistik.
Wie Tichy siner Notlage entkommt, möge der neugierige Leser selbst herausfinden...
Stanislaw Lem: Sterntagebücher / die einundzwanzigste Reise
In dieser Reise - identisch mit der neunzehnten - hat der Leser einige Tagebuchblätter vor sich, die der Reisende Tichy in Kürze in ein leeres Sauerstofffäßchen stecken und dem All übergeben wird. Anfang und Ende der Erzählung sind identisch; bis zum Schluß wird nicht klar, wieviele Personen denn nun im Raumschiff reisen, ob Tichy sein eigener Vater ist, oder ob er sich nur in den Schleifen eines Hingespinstes dreht.
Stanislaw Lem: Sterntagebücher / Aus Tichys Erinnerungen IV
Ein Zeitmaschinenerfinder namens Molteris klopft bei Tichy an die Tür, dringt in seine Behausung ein und präsentiert sein Werk. Molteris mangelt es an Geld und - an Zeit. Ein improvisiertes Experiment überzeugt Tichy: "...>>Haben Sie einen Gegenstand, von dem Sie sich [...] trennen können?>Es hat sich in der Zeit verschoben>Ungefähr um einen Tag> zugedeckt