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Fleisch wird zum Lebensmittel der Unterschicht
Der Ruf der Fleisch-Branche bei deutschen Verbrauchern ist dahin. Wer gut verdient und studiert hat, isst heute am wenigsten Schnitzel und Kotelett. Ein Grund für den Fleischverzicht der Oberschicht sind die Gammelfleisch-Skandale. Doch die Hersteller haben noch aus anderen Gründen ein Image-Problem.
Es gibt historische Umwälzungen, die sich von der Öffentlichkeit unbemerkt vollziehen. Die Essgewohnheiten der Oberschicht zum Beispiel wandeln sich gerade von Grund auf: Zu allen Zeiten aßen die Menschen umso mehr Fleisch, je höher ihr gesellschaftlicher Status war.
Frikadelle auf der Gabel: Fleisch wird zum Lebensmittel der Unterschicht
Foto: dpa Frikadelle auf der Gabel: Fleisch wird zum Lebensmittel der Unterschicht
Nun hat sich der Trend umgekehrt: Laut Nationaler Verzehrstudie sinkt der Fleischkonsum mit steigendem Bildungsniveau und Einkommen. Die Wohlhabenden und die Diplomierten essen am wenigsten Fleisch. In den unteren Schichten werden dagegen am meisten Schnitzel und Wurst verspeist. "Fleisch droht zum Unterschichtsprodukt zu werden", sagt Achim Spiller, Professor für Lebensmittelmarketing an der Universität Göttingen.
Dies sind einige der Ergebnisse der Nationalen Verzehrstudie zu den Essgewohnheiten der Deutschen:
Spiller ist Autor einer wissenschaftlichen Studie über das Image der Fleischwirtschaft in der Bevölkerung. Die Ergebnisse sind für die Branche ernüchternd. "Ihr Ruf ist schlechter als der von Süßwarenindustrie und Banken, und sogar weniger gut als der des notorisch ungeliebten Chemiesektors", sagt der Forscher. Mit Imageproblemen kämpfen die Anbieter von Fleisch- und Wurstwaren seit der BSE-Krise der 90er-Jahre. Geriet seinerzeit – wegen der Verfütterung von Tiermehl - die Viehhaltung in die Kritik, so ist es heute die verarbeitende Industrie, zu der die Verbraucher wenig Vertrauen haben.
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Dazu trugen nicht nur zahlreiche Gammelfleischskandale bei, sondern wohl auch der Umgang der Behörden mit solchen Unregelmäßigkeiten. Denn wohin die bei Kontrollen entdeckten Schlachtabfälle oder abgelaufenen Waren eigentlich geliefert wurden, wird nur in seltenen Fällen bekannt. "Die große Koalition hatte versprochen, Ross und Reiter zu nennen", kritisiert die Organisation Foodwatch. "Aber wo Gammelfleisch verkauft wurde, erfahren die Bürger nicht." Daran habe auch das Verbraucherinformationsgesetz nichts geändert.
Nach Inkrafttreten des Gesetzes im vergangenen Jahr hatte Foodwatch einen Praxistest gemacht. Die Organisation schrieb Bundes- und Länderbehörden an und verlangte Auskunft über Firmen, die bei Kontrollen durch gesundheitsgefährdendes Fleisch aufgefallen waren. Die Reaktion der Ämter fiel zum Teil unfreiwillig komisch aus. Das bayerische Landesamt für Gesundheit etwa ließ wissen: "Durch Ihr ausdrückliches Beharren auf der Informationsgewährung verursachen Sie zusätzlichen Verwaltungsaufwand."
Die nordrhein-westfälischen Landkreise Unna und Viersen erhoben gar erst einmal einen Vorschuss von 1000 Euro für die Bearbeitung der Anfrage. "Das ist Verhöhnung der Verbraucher und ein Armutszeugnis für die Demokratie", sagt Kampagnenleiter Matthias Wolfschmidt.
Kein Wunder, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Fleischindustrie einen Tiefstand erreicht hat. Es gibt viele Anzeichen für mangelnde Akzeptanz. "Dazu zählen zum Beispiel Bürgerinitiativen gegen Bauvorhaben der Fleischindustrie", sagt Friederike Albertsmeier, Mitautorin der Studie der Uni Göttingen.
Eine Wurstfabrik wollen viele Anwohner offenbar weniger gern in der Nachbarschaft haben als einen Möbelhersteller. Soll dagegen eine Filiale von Ketten wie Aldi oder Edeka in der Umgebung eröffnet werden, stößt dies in der Regel auf breite Zustimmung, fanden die Forscher heraus.
Dabei sind die größten Fleischverarbeiter hierzulande die Handelsketten selbst. Sie betreiben Werke in Eigenregie. Mit geschätzten 1,8 Milliarden Euro Umsatz ist die Hamburger Edeka-Gruppe der größte deutsche Fleischwarenhersteller. Daneben beherrschen eine Reihe mittelständischer Markenhersteller die Supermarktregale. Die bekannteste und zugleich umsatzstärkste Marke ist mit 141 Millionen Euro Rügenwalder Mühle, knapp vor Herta mit 137 Millionen Euro, ermittelten Marktforscher von Information Resources (IRI).
Nach Meinung von Wissenschaftler Spiller dürfte die Fleischbranche mittelfristig Schwierigkeiten haben, gute Nachwuchsführungskräfte zu gewinnen. "Man sieht es bei unseren Studenten", sagt Spiller. "Die besten unter ihnen wollen nicht in diesen Wirtschaftszweig." Absolventen der Agrarwissenschaften, die zwischen Chicken McNuggets und Keksen wählen können, entscheiden sich immer öfter für die Backwaren.
Für das verheerende Image der Branche sind aber nicht nur Lebensmittelskandale und fehlende Transparenz verantwortlich, meint der Göttinger Forscher. Es gebe auch ein Qualitätsproblem. Spiller wertete Testergebnisse der Stiftung Warentest von Fleisch- und Wurstwaren aus, bei denen Markenprodukte mit preiswerter No-Name-Ware verglichen worden waren.
Das überraschende Ergebnis: "Teure Produkte sind qualitativ leicht schlechter als günstige." Daher sei es durchaus rational, wenn Verbraucher zum billigsten Fleischerzeugnis griffen. Mehr noch: "No-Name-Ware ist laut Stiftung Warentest sogar besser, was Kennzeichnung, Geschmack, Keim- und Schadstoffbelastung angeht."
I still don't believe in Germanys right to exist.