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Forum / Poesie und Lyrik

Rache

Lustschmerz
Fortgeschrittener (offline)

Dabei seit 06.2006
66 Beiträge
Geschrieben am: 17.02.2007 um 20:19 Uhr

Die Musik überschwemmt seinen Kopf, langsam beginnt er nichts mehr wahrzunehmen, die Welt wird stumm, leer und einsam, aber das ist nichts neues.. Nur fühlt er die Einsamkeit jetzt nicht mehr so stark, vielleicht, weil der Bass sie erschlägt und die Gitarren sie zerreisen. Irgendwo inmitten der Flut aus Klängen schreit eine Stimme nach Rache. Langsam vergisst er, dass die Stimme aus dem MP3-Player kommt und nicht aus seinem Kopf.
Von seinem Platz in der letzen Reihe kann er die ganze Klasse beobachten. Und er beobachtet sie, auch wenn es schon nichts neues mehr gibt, nichts, was er nicht schon gesehen hat von seinem Turm aus Isolation. Es ist wie ein Film, ein Stummfilm, nur in Farbe. Er kann es langsam nicht mehr sehen, es ist immer das selbe. Und er hasst sie, Lehrer wie Schüler, hasst sie so stark wie er nur kann, damit er nicht sich selbst hassen muss. Denn er weiß, dass sie es tun und er weiß, wie leicht es ist, ihn zu hassen. Aber er will dem Gefühl nicht nachgeben. Er nicht. Es ist eine Art Überlebenstrieb. Er stützt die Ellenbogen auf den Tisch, faltet die Hände und stützt den Kopf darauf. Er starrt auf den Schultisch, blendet sie lärmende Meute um ihn aus.
Die Melodien sprengen seinen Kopf. Eigentlich ist das nur eine Matapher, aber eines Tages, denkt er, werden sie das wirklich. Und dann wird das Lied frei sein, nicht mehr länger nur in mir. Dann wird das Lied frei sein, das Rachelied... Wer weiß, wie lange das noch dauert. Ich habe Angst.
Er nimmt den Zirkel aus dem Mäppchen, befühlt die Nadel mit dem Finger, drückt sie so fest an seinen Daumen, dass es weh tun und sticht sie dann langsam in den Schulblock. Er kratzt Muster in den Block, wundert sich, wie faszinierend das ist, so eine kleine Spitze, ein winziger Dolch, und so tiefe Risse. Er lächelt. In ihm tobt die Musik.
Der Refrain kehrt wieder, eine neue Chance, dass Lied zu einem guten Ende zu bringen. Aber er weiß, dass das Lied nicht gut endet. Und es ist ihm egal, wie so vieles. Es interessiert ja keinen.
Er stellt sich das manchmal vor, wie er auf andere wirkt. Ein Jugendlicher, männlich, dunkelhaarig, blass, isoliert und geistesabwesend. Immer mit Musik im Ohr. Sollen sie ihn doch deswegen hassen. Sie haben ihn doch schon lange davor gehasst. Die Bands sind überhaupt die einzigen, die ihn verstehen. Und die Sänger verstehen als einzige, was er fühlt. Irgendwann wird er taub sein, so oft und laut, wie er Musik hört. Aber das wird nicht nicht kümmern. Und wenn, dann erst, wenn er alt ist. Wenn er überhaupt alt wird...
Das Schlagzeug steigert sich zu unermesslichen Geschwindigkeiten. Irgendwo zwischen den Schreien der Gitarren erliegt der Sänger unter den Wogen der Instrumente. Rache...
Als der Lehrer das Zimmer betritt, tut er, als ob er es nicht wahrnimmt. Er lächelt leiße die tiefen Wunden seines Blocks an. Und der Lehrer, halb mitleidig, halb besorgt wundert sich, wie man da noch lächeln kann, wenn man in so einer Situation ist wie der.
Aber er lächelt nur und niemand weiß, was er denkt. Wir sehen uns früh genug, denkt er. Wir sehen uns in der Hölle, irgendwann, bald. Der Rest seiner Gedanken wird von der Melodie übertönt.

...dass ihr werdet wie Gott, wissend, was gut und böse ist.

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