jasonboy
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 17:34 Uhr
Zuletzt editiert am: 30.07.2006 um 18:09 Uhr
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Held und Lebensretter
Unser Auto bleibt mit einem harten Ruck stehen. Das Quietschen der Reifen ist zu hören. Mich drückt es in den Gurt. Mein Körper schiebt es in Richtung der Kopflehne des vor mir liegenden Beifahrersitzes. Kein Kontakt. Ich versuche einen Blick vom hinteren Teil des Wagens durch die Frontscheibe vorbei an meiner Mama und meinem Papa, die links und rechts auf dem Fahrer- und Beifahrersitz sitzen, zu erhaschen, aber der Gurt zieht mich wieder in eine aufrechte Position zurück. Ich höre meine Mama böse Worte rufen, Worte, die ich zu Hause nicht rufen darf. Ich sage es ihr. Mama reagiert nicht auf mich. Mein Papa fordert meine Mama auf, dass sie schneller machen solle. Mama wird hektisch. Kurbelt am Lenkrad. Schiebt ihre Beine vorwärts und rückwärts. Reißt den Knüppel in der Mitte zwischen den beiden Sitzen in alle Richtungen. Er müsse zur Arbeit, wiederholt mein Papa immer wieder. Ich möchte jetzt wissen was passiert ist. Ich starte einen zweiten Versuch: Ich ziehe mich zusammen mit dem Gurt in die Mitte der hinteren Sitzbank. Meine ganze Kraft ist nötig. Der einzige Blick, den ich erhasche ist ein Schild auf der Rückseite eines Lasters, der scheinbar vor uns stehen blieb: „Lebende Tiere“. Der Gurt zieht mich ein weiteres Mal zurück. Mein Blick geradeaus. Wir fahren langsam weiter.
Ich kann in vier Richtungen schauen: Aus dem rechten Seitenfenster, dem linken Seitenfenster und einem kleinen Sehschlitz zwischen der Kopflehne und dem Sitz. Mein Papa sitzt vor mir. Ich sehe nur einen Teil seines Halses, der durch den Kragen eines weißen Kittels bedeckt ist. Mein Papa füllt meine ganze Sicht nach vorne mit dem weißen Kragen eines weißen Kittels, wie ihn die Lebensretter immer tragen. Ein weißer Kittel, wie ihn gestern der Mann im Fernsehen trug, der einen blutenden Mann zum Husten brachte, obwohl er schon aufgehört hatte zu atmen. Ein Mann im weißen Kittel – ein Held und Lebensretter, der wegen seiner Taten von allen gefeiert wird. Mein Papa trägt einen weißen Kittel, wenn er zur Arbeit fährt und wenn er Abends von der Arbeit nach Hause kommt. Mein Papa ist ein Held und Lebensretter.
Heute fährt uns Mama: Erst Papa zur Arbeit und dann mich zur Schule. Ich glaube Mama weiß nicht genau wo Papa arbeitet. Ich glaube er arbeitet immer woanders. Immer da wo blutendende Männer aufhören zu atmen. Papa sagt meiner Mama, dass sie dem Laster mit den „Lebenden Tieren“ hinterherfahren solle. Mama macht das was er sagt. Sie vertraut ihm. Ich vertraue ihm. Wir alle vertrauen ihm, Papa, dem Mann im weißen Kittel.
Mama biegt rechts ab. Ich kann durch mein rechtes Seitenfenster sehen, wie der Laster abbiegt. Eine Schranke öffnet sich, der Laster fährt hindurch. Meine Mama bleibt in der Kurve stehen. Mein Papa küsst Mama auf die Stirn, dreht sich zu mir um und wuschelt mit seiner Hand durch meine lockigen Haare und verabschiedet sich. Papa sagt immer, dass er meine lockigen Haare möge. Sie erinnern ihn an die kleinen Engel aus der Kirche. Die Schranke schließt sich hinter dem Laster und mein Papa schließt die Autotür von außen. Er knallt sie regelrecht zu. Papa hat es eilig, er rennt dem Laster hinterher. Vielleicht ist was passiert. Vielleicht ist da irgendwo ein blutender Mann, der nicht mehr atmet.
Meine Mama setzt den Blinker und fädelt sich langsam in den fließenden Verkehr ein. Ich drehe meinen Körper und meinen Kopf, so dass ich durch mein rechtes Seitenfenster meinen Papa beobachten kann. Er rennt über einen großen Hof. Immer dem Laster mit den „Lebenden Tieren“ hinterher. Dann verdeckt ein großer Zaun die Sicht auf meinen Papa. Mehr verdeckt durch ein großes Schild, das an einem Maschendrahtzaun befestigt ist: „Landfleisch AG“. Das Schild macht den Zaun undurchsichtig. Ich weiß aber was dahinter passiert, denn ich weiß was die Männer in den weißen Kitteln machen.
Papa wird morgen in meine Schule kommen und der ganzen Klasse erzählen, was er in seinem weißen Kittel macht. Alle meine Freunde werden staunen und ihn feiern, wie den Mann im Fernsehen, denn ich weiß, dass mein Papa ein Held und Lebensretter ist.
von Matthias Böhm.
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ught - 39
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 17:45 Uhr
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illusionen im leben eines kindes? oder liege ich da falsch?
Die einzige Konstante im Leben ist das Absinken des Niveaus
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jasonboy
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 17:47 Uhr
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Zitat von ught: illusionen im leben eines kindes? oder liege ich da falsch?
jop... der zerplatzte traum vom weihnachtsmann und osterhasen übertragen auf die väterliche heldenfigur aus sicht des sohnes...
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ught - 39
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 17:49 Uhr
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na denn hab ich se sogar verstanden *G*
ich versteh den anfang von wegen bremsen net so ... aber ich vermute mal , dass die leutz unter zeitdruck standen und deswegn schnell gefahren sind und dann der lkw kam und sie schlagartig abbremsen mussten, oder sollte es dazu dienen, die leser eher zur illusion des kindes hinzuführen anstatt zur harten realität?
Die einzige Konstante im Leben ist das Absinken des Niveaus
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jasonboy
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 17:52 Uhr
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Zitat von ught: na denn hab ich se sogar verstanden *G*
ich versteh den anfang von wegen bremsen net so ... aber ich vermute mal , dass die leutz unter zeitdruck standen und deswegn schnell gefahren sind und dann der lkw kam und sie schlagartig abbremsen mussten, oder sollte es dazu dienen, die leser eher zur illusion des kindes hinzuführen anstatt zur harten realität?
es ist nur die subjektive wahrnehmung des kindes. die welt beschränkt sich auf das blickfeld was man eben vom platz hinter dem beifahrersitz hat. man nimmt nur den ruck wahr, der quasi den eintirtt in die illusionswelt des kindes darstellt.
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ught - 39
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 17:55 Uhr
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also bedeutet dieser ruck, ein hinweis auf eine mögliche gefahr, verknüpft mit der aufnahme eines arztes im fernsehen vom vortag, den beginn, den beginn des gedankenverknüpfens eines kindes, das von der realtiät ncoh nciht soviel weiß, gut gut gemacht kann cih da nur sagen, sowas zu lesen und dann drüber zu reden macht spass
Die einzige Konstante im Leben ist das Absinken des Niveaus
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jasonboy
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 17:57 Uhr
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Zitat von ught: also bedeutet dieser ruck, ein hinweis auf eine mögliche gefahr, verknüpft mit der aufnahme eines arztes im fernsehen vom vortag, den beginn, den beginn des gedankenverknüpfens eines kindes, das von der realtiät ncoh nciht soviel weiß, gut gut gemacht kann cih da nur sagen, sowas zu lesen und dann drüber zu reden macht spass
genau. das kind hat eine realitätswahrnehmung, die sich aus den ersten erfahrungen, die es so macht zusammensetzt. da ist das fantasieprodukt fernsehen und ereignisse, die es sich nicht erklären kann bzw. das kind versucht durch logische schlussfolgerungen wie der einfache weiße kittel die welt für sich zu erklären...
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ught - 39
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:00 Uhr
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ich find des nur schade dass sich kein anderer einklinckt in des gespräch, naja ...
wie kommst eigentlcih auf die idee so ne kurzgeschichte zu schreiben?
Die einzige Konstante im Leben ist das Absinken des Niveaus
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jasonboy
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:01 Uhr
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Zitat von ught: ich find des nur schade dass sich kein anderer einklinckt in des gespräch, naja ...
wie kommst eigentlcih auf die idee so ne kurzgeschichte zu schreiben?
schwer zu sagen. meistens höre ich ein lied oder seh irgendwas oder irgendein bestimmter eindruck und dann baut sich plötzlich ne geschichte zusammen. kann ich schwer beschreiben...
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ught - 39
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:07 Uhr
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naja, ich komm eigentlcih net dazu ... bzw hab net so die einfälle... ihc diskutiere und interpretiere lieber geschichten ... aber zur zeit ( bzw seit ich abi hab) les ich keine anspruchsvollen bücher mehr ... was ihc aber am besten bisher fand war woyzeck von büchner ... und dann noch das foucaultsche pendel von umberto eco ...
Die einzige Konstante im Leben ist das Absinken des Niveaus
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jasonboy
Halbprofi
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:10 Uhr
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Zitat von ught: naja, ich komm eigentlcih net dazu ... bzw hab net so die einfälle... ihc diskutiere und interpretiere lieber geschichten ... aber zur zeit ( bzw seit ich abi hab) les ich keine anspruchsvollen bücher mehr ... was ihc aber am besten bisher fand war woyzeck von büchner ... und dann noch das foucaultsche pendel von umberto eco ...
woyzeck ist toll und viel lärm um nichts und als romane der talentierte mr. ripley, so zum beispiel...
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ught - 39
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:14 Uhr
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is zwar off topic a wenga aber kennst du die geheimnisvolle flamme der königin loana von umberto eco?
is echt gut
Die einzige Konstante im Leben ist das Absinken des Niveaus
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RealNuckel - 44
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:16 Uhr
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du solltest deine anderen geschichten auch noch hier zu schau stellen. ich find die illusion des kindes sehr gut umschrieben.
weißer kittel=arzt
die sichtweise ist sehr beeindruckend.
www.RealNuckel.de.vu
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RealNuckel - 44
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:17 Uhr
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"...der einen blutenden mann zum husten brachte..."
welcher song hat dich zu diesen formulierungen gebracht
www.RealNuckel.de.vu
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jasonboy
Halbprofi
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:21 Uhr
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Zitat von RealNuckel: "...der einen blutenden mann zum husten brachte..."
welcher song hat dich zu diesen formulierungen gebracht 
Die Formulierungen sind von mir... die Idee entstand bei Aqualung - Strange and Beautiful .
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jasonboy
Halbprofi
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Geschrieben am: 30.07.2006 um 18:22 Uhr
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Zitat von ught: is zwar off topic a wenga aber kennst du die geheimnisvolle flamme der königin loana von umberto eco?
is echt gut
von eco kenn ich nur der name der rose und da auch nur den film...
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