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rebüfpoK // Kopfüber

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116 Beiträge

Geschrieben am: 03.04.2006 um 14:43 Uhr
Zuletzt editiert am: 01.08.2007 um 21:03 Uhr

//. Was er jetzt wohl denken mag? Ob er noch sauer ist? Ich möchte zu gerne wissen, was er jetzt denkt. Und das verdutzte Gesicht, das er eben machte.
Es war zum schießen, ich hätte ihn knutschen können. Wie schnell man ihn aus der Fassung bringen kann. Alles nur, weil er wieder so motzig war. Er ist oft motzig und dann weiß ich nicht warum. Dabei kennen wir uns schon so lange. Eine halbe Ewigkeit, schätze ich. ‘Wie lange kennen wir uns schon?’ Hm, keine Antwort. Er ist bestimmt noch motzig oder beleidigt oder beides oder vielleicht einfach nur erstaunt. Ich glaube, wir kennen uns schon zehn Jahre.
Damals haben wir uns Hals über Kopf ineinander verliebt. ‘Hals über Kopf’. Das bekommt eine ganz andere Bedeutung, wenn man kopfüber hängt. Ich würde sagen, es ist sogar die große Liebe, von der man immer in den Büchern liest, die eigentlich noch nie jemand gefunden hat oder irgendeinen komplizierten Haken hat, weswegen es dann doch nicht die große Liebe ist. Wir waren der großen Liebe gegenüber dermaßen misstrauisch, dass wir beschlossen, kein Paar zu werden. Es war sowieso die einzige Chance, ein Leben lang zusammenzubleiben.
Jeder lebt sein eigenes Leben. Ich hatte viele Freunde, die kamen und gingen. Manche waren gut, die meisten schlecht. Ich gebe zu, es war nicht immer einfach mit mir und das ist es immer noch nicht. Manchmal kann man es mir einfach nicht Recht machen. Wozu auch? Schließlich habe ich noch seine Liebe und das ist unglaublich beruhigend, finde ich. Zu wissen, es gibt jemanden, der mich bedingungslos liebt, fand ich immer cool. Und praktisch. Ich liebe Dinge, die praktisch sind. Er hatte auch einige Freundinnen, nicht so viele, na klar, er ist immer etwas umständlicher in solchen Dingen und hat es oft schon von vornherein vermasselt und dann viel zu lange auf das tragische Ende gewartet. Ich mache lieber kurzen Prozess.
‘Liebst Du mich noch?’. Er antwortet nicht. Sturer Bock. Vielleicht ist er ohnmächtig oder ihm ist das Blut in den Kopf gestiegen. Ist ja auch nicht so angenehm, kopfüber zu hängen. Wir sind fast immer einer Meinung und ich kann jeden Satz, den er beginnt, zu Ende sprechen. Sein Telefon ist ständig besetzt, weil er den Hörer schon abnimmt, wenn ich noch nicht die letzte Ziffer eingetippt habe. Wenn es wirklich mal diese Wesen aus Urzeiten gab, die Männchen und Weibchen waren, die man auseinander gerissen hatte, um ihre andere Hälfte suchen zu müssen, dann ist er meine andere Hälfte. Ich spüre manchmal, wie er in meine Seele schaut. Heimlich. Ich würde es ihm nie erlauben. Aber heimlich darf er. Es kitzelt sogar ein wenig und ich fühle mich wohl, ihn in mir zu spüren, also in meiner Seele.
Sex hatten wir nie. Beinahe wäre es mal passiert. Aber sein Blick eben, als er störrisch vor sich hertrottete und mir keine Antwort geben wollte und ich ihm hinterher schrie: ‘Ich liebe Dich, du Idiot.’ Er drehte sich um und machte ein Gesicht für die Götter. Ich habe ihn noch nie so verdutzt gesehen. Dabei weiß er doch, dass ich ihn liebe. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich sage ‘Mensch’, weil ich nicht nur den Mann meine. Ich habe es ihm nie gesagt. Wozu auch? Er weiß es doch. Er hat es längst in mir gelesen. Und das er mich liebt, ist mir sonnenklar. Daran gibt es keinen Zweifel, auch wenn er es mir nie gesagt hat. Ich bin nicht so eine, die das zu jedem sagt. Zu allen meinen Freunden der letzten Jahre sagte ich es jedenfalls nicht oder nicht bewusst oder wenn, dann meinte ich es nicht so. Dass er dann gleich aus dem Gleichgewicht kippt. Manchmal ist er halt merkwürdig.
Wir haben mal was ganz verrücktes gemacht und sind einfach abgehauen. Kopflos vier Tage Las Vegas und keiner wusste Bescheid. ‘Kopflos’ hört sich lustig an, wenn man so kopfüber hängt. Seine Freundin nicht, mein Freund nicht. Einfach in den Flieger und ab ins beste Hotel von Las Vegas. Luxus pur und nur vom Feinsten. Vier Tage im Bett und gekuschelt und ab und zu mal geküsst. Aber nur ein bisschen, also nicht so richtig oder heftig. Naja, da wäre das mit dem Sex fast passiert. Die Versuchung war groß. Aber als ich schon halbnackt über ihm lag und meine Finger am Rand des Hosenbunds angelangt waren, sahen wir uns im gleichen Moment mit dem gleichen erschrockenen Gesicht an und wir ließen von einander ab. Heute lachen wir darüber und wenn wir von einem erotischen Abenteuer erzählen, das wir nicht so prickelnd fanden, sagen wir nur noch: ‘Hosenbund’.
Ich bin immer für ihn da und genauso kann ich mich auf ihn verlassen. Trotzdem ist es nicht immer leicht. Besonders in den Zeiten, wenn einer von uns Solo ist und das Verlangen etwas stärker wird und sich manchmal sogar etwas Eifersucht dazu mischt. Wenn man selbst alleine einschlafen muss und den Geliebten in Armen eines anderen weiß. Dann schickt er mir eine SMS oder telefoniert heimlich mit mir und dann fühle ich mich wieder wohl und bin froh, ihn zu haben. ‘Erinnerst Du dich noch an Las Vegas? Ich sage nur: Hosenbund.’ Keine Reaktion. Er wird doch nicht tot sein? Oder wenn ich glücklich bin und er alleine in einer Bar abhängt, schicke ich ihm drei kleine Buchstaben auf sein Handy und ich weiß, dass er lächeln wird.
Es hat wirklich sehr lange gedauert, bis er mich soweit hatte, dass ich mit ihm diese Bergtour machte. Ich bin überhaupt nicht für die Berge. Sie interessieren mich nicht und ich finde sie langweilig. Ich liebe das Meer, den Sand, die Sonne. Das liebt er auch und noch die Berge dazu. Ich hatte mich mit Händen und Füßen davor gesträubt. Dabei waren es wirklich wunderbare Tage. Ich hatte keine Ahnung, wie mich die Natur erschlagen konnte. Irgendwann machte es ‘flash’ und ich fühlte mich, wie auf Drogen oder so stelle ich es mir vor, denn ich habe noch nie Drogen genommen. Wozu auch? Wenn ich will, kann ich mich an ihm betrinken.
Ich kann wohl sagen, es waren die schönsten zehn Jahre meines Lebens. Und ein Großteil davon verdanke ich ihm. Ich hätte ihn knutschen können, für dieses Gesicht. Warum musste er auch das Gleichgewicht verlieren und uns beide die Felswand runter reißen. Meine Schulter tut ganz schön weh. Und jetzt hängen wir hier kopfüber am Sicherungsseil und irgendwie kann ich ihn nicht sehen, obwohl er direkt über mir hängt. ‘Bist Du in Ordnung?’ Ich glaube, ich höre ihn atmen. Ich spüre meine Beine nicht mehr. Bestimmt habe ich mir ein paar Wirbel gebrochen, als ich gegen die Felswand knallte. Ich wusste nicht, dass das Leben sein Gewicht verliert, wenn man so liebt. Dinge bekommen eine andere Bedeutung, eine andere Gewichtung. So fühlt es sich an, wenn das Leben, buchstäblich am seidenen Faden hängt.
Wir sind uns so ähnlich. Wir sind uns so gleich. Ich wünsche, dass er mein Leben zu Ende führt. Ein Glück. Ich kann mein Messer fassen. Wir haben mal gesagt, dass wir es im nächsten Leben vielleicht doch einmal zusammen versuchen wollen. Warum auch nicht? Und jetzt ist das nächste Leben schon zum Greifen nah. Er wird mich vermissen. ‘Liebster, wirst Du mich vermissen?’ Ich bin mir sicher, er atmet noch. Merkwürdig: Mein Leben begann, mit einem Schnitt durch die Nabelschnur und nun wird ein weiterer Schnitt mich ins nächste Leben tragen. Gibt es eigentlich etwas schöneres, als sein eigenes Leben, dem zu geben, den man am meisten liebt? Mich erfüllt es jedenfalls mit Ruhe und Zufriedenheit. Genau die innere Ruhe, nach der ich mich ein Leben lang gesehnt habe und nun, Liebster, schenkst Du mir auch noch das. Es tut sicher nicht weh. ‘Es tut doch nicht weh?’ Ich glaube, er hat ‘nein’ gesagt. Ich freue mich schon auf Dich, freue mich auf mein neues Leben. Leb wohl, Liebster. //