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Forum / Poesie und Lyrik

[Text] Elektromotoren

JohnPower
Profi (offline)

Dabei seit 09.2010
574 Beiträge
Geschrieben am: 21.12.2015 um 16:21 Uhr

"Nichts ist Endgültig auf diesem Planeten. Außer dem Tod, und den können wir umgehen."
Die Worte Jensens hallten in meinem Kopf wie ein Echo, zogen ihre Bahnen durch die Leere hinter meinen Augen und wurden mit jeder Reflektion der Schädeldecke lauter. "Nichts ist Endgültig auf diesem Planeten."

Ich raffe mich auf, um mir noch ein Glas Whiskey einzuschenken. Der Tag war lang, viel zu lang. Heute in Shanghai, morgen in Boston, am Mittwoch Berlin. Ich komme viel herum.
Ich stehe nun vor dem Schrank, sehe die Gläser durch das Glas. Wie man mich sieht. Ich öffne den Schrank, meine Finger strecken sich um eines der breiten, tiefen Gläser und fühlen nichts. Es ist vermutlich kalt, aber ich spüre es nicht. Ein leises Surren aus meinem Handgelenk verrät mir, dass ich noch lebe - zwar sind die Elektromotoren von heute unglaublich leise, aber noch lange nicht geräuschlos. Jensen meinte, ich könnte theoretisch neue haben, aber mich stört das leise Surren nicht.
Überhaupt habe ich viel mit Jensen gesprochen, seit der "Briefe an X". Geholfen hat das auch nicht wirklich, schließlich ist Jensen nicht real. Aber man konnte immerhin reden.
Ich gehe zurück zu meinem weichen, hüfthohen Sessel, blicke mich um. Ein schnörkelloses Zimmer, mit einigen postmillenialen Bildern an der Wand. Könnte auch Pop-Art sein. Ein wuchtiger Schrank in der Ecke aus Teakholz. Er mieft. Die Farben sind in warmen Gold gehalten, außer dem roten Mülleimer in der Küche.
Ich setze mich und blicke aus dem Fenster. Die Aussicht auf das moderne Shanghai ist beeindruckend, vor allem aber wie sauber das Glas doch ist, wahrscheinlich eine Spezialbeschichtung von SmithScreens.
Ich grüble ein paar Minuten über das Vergangene, bevor es mich nicht mehr im Sessel hält. Ich trete ans Fenster und blicke auf eine nasse Straße tief unter mir. Menschen ziehen vorbei, manche noch mit offenen Regenschirmen in der Hand eilen sie. Heute geht keiner langsam. In einer Seitengasse erblicke ich ein paar zerlumpte Gestalten, die um ein Fass herum stehen, in dem sie ein Feuer entzündet haben. Wahrscheinlich Russen, die sich durch die Welt schlagen müssen. An ihnen surrt nichts.
Ich drehe mich um und sehe den roten Mülleimer in der Küche, der einzige Farbfleck in einer Welt aus fließendem orange, gold und braun. Frech leuchtet er mich an, mit seinem rot, als wollte er mich provozieren.
Recht hat er, etwas Provokation könnte nicht schaden. Wieder auf eigene Faust arbeiten, um die Häuser ziehen und Menschen sehen, erleben, riechen und fühlen. Fühlen, was sie erleben. Erraten, wer sie sind und woher sie kommen. Hier in diesem Viertel ist das allemal spannender als oben, bei den Privilegierten.
Aber ich setze mich lieber wieder in den Sessel, kippe das Glas schnell hinunter und überlege mir, noch eins zu holen.

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Altai-Kai.

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