Du bist nicht eingeloggt.

Login

Pass

Registrieren

Community
Szene & News
Locations
Impressum

Forum / Poesie und Lyrik

Insomnia.

Ahabs_Oath - 34
Halbprofi (offline)

Dabei seit 10.2007
194 Beiträge

Geschrieben am: 19.10.2015 um 00:17 Uhr
Zuletzt editiert am: 19.10.2015 um 15:39 Uhr

Schlaflos.
Die Stunden und Tage verschwimmen vor meinem geistigen Auge, bilden ein kaleidoskopartiges Bild aus Traum und Realität.
Die ersten vierzig Stunden waren ja noch aushaltbar. Man hofft noch. Acht Stunden später, und alles in mir schreit nach Ruhe. Mein Hirn pulsiert und fühlt sich dumpf an. Keine spur mehr von Aufmerksamkeit oder klaren Gedanken.
Mein Rückgrat verhält sich wie Hartgummi. Die gesamte Rückenmuskulatur verwandelt sich langsam in porösen Schiefer. Meine Lungen und mein Herz arbeiten, als würde ich kontinuierlich für einen Marathon trainieren. An der kleinen Arterie in meiner Lippe fühle ich, wie meine Pumpe rastlos rast, um anschließend wieder gemächlich spazieren zu klopfen. Ich blinzle.
Die Sonne rast über den Himmel.
Im nächsten Augenblick sind fünf Stunden vergangen. Wo war ich in der Zeit? Warum hab' ich die Schlüssel in der Hand? Ich fahr doch gar kein Automobil. Die Wirklichkeit beginnt zu verschwimmen. Ich muss mich ohrfeigen, um in's Jetzt zurückzukehren. Von meinem Gehirn ist nur noch Gélee übrig. Auch mein Gleichgewichtssinn lässt mich im Stich und lacht mich aus; Rache für Jahre des Missbrauchs. Es gibt keinen Hunger, keinen Durst, kein Suchtempfinden mehr. Augelöscht durch Müdigkeit. Gleichmütig zieht Zigarettenasche an meinen Augen vorbei. Nein, eindeutig, Grundbedürfnisse gehören der Vergangenheit an. Da ist nur endloses, lautloses Seufzen in meinem Inneren; Schreie nach Erlösung. Nach Schlaf. Traumlosem, gnädigem Schlaf. Ich kann ihn sehen, wie er mir am Horizont zuwinkt.
Mittlerweile kann ich die Stunden nicht mehr zählen. Die Grenze des erträglichen ist vor gefühlten Monaten überschritten worden. Es gibt kein "Morgen", nur eine endlose Aneinanderreihung von Sonnenauf- und -untergängen. Von dem Phänomen des 'Klaren Gedanken' mag ich in grauer Vorzeit einmal gehört haben, doch ist es mir so fremd geworden, wie mein Gesicht im Spiegel. Irgendwann beginne ich, mich zu fragen, welches Jahr wir eigentlich haben. Der Kalender an meiner Wand wirkt so verwirrend auf mich, wie String-Theorie und das Konzept der Ausgeruhtheit. Fast schon panisch. Dabei will ich ihm doch nichts böses. Der klare Zusammenhang von Stunden und Tageszeiten ist unwiederbringlich verloren. Ein Anflug von Traurigkeit sucht mich deswegen heim. Es gab eine Zeit... aber schon wird der Gedanke, in Fetzen gerissen, von dem heulenden Wind zwischen meinen Ohren davongeweht. Nachmittags um Vier fühlt es sich immer noch an wie Acht Uhr morgens. Das Ziffernblatt auf meinem altmodischen Wecker tut so, als wäre es Treibsand. Vielleicht hofft es, davonflimmern zu können und wieder einen Nutzen zu haben.
Tick, Tack, Tick, Tack.
Die Stille nagt, schlimmer als eine Ratte im Blecheimer auf der Brust, die vor den Flammen flieht, die der Henker schürt. Musik zerfasert meine Nerven, bis nur noch nanometergroße Fädchen übrig sind. Es hift nur Regen. Regen, Regen, Regen. Welch Komposition.
Tick, Tack, Tick.
Wie viele Tage sind es nun? Meine Gedanken zerbrechen. Sind es Tage? Was ist ein Tag?
Guten Tag.
Tick, Tack.
Ich weiß, was jetzt kommt. Es ist kein Schlaf. Es ist die Bewusstlosigkeit, die mich schlussendlich raubt. Der Wecker grinst schelmisch.
Tick.
Und ich schreck' hoch. Eine Stunde.
Da fällt ein Diamant auf das Kissen und ich setze mich wieder.
Tack.

"Können sie mir sagen, wie ich zum Münster komme, oder soll ich mich einfach selber ficken?"

monarchin
Profi (offline)

Dabei seit 12.2013
492 Beiträge

Geschrieben am: 19.10.2015 um 10:50 Uhr
Zuletzt editiert am: 19.10.2015 um 10:51 Uhr

Und dann kommt der Morgen des Tages, nach dem es wieder ein Morgen geben muss. Schon der Blick aus dem Fenster gleicht einer Mutprobe. Logbucheintrag 1.1.2 - an meinem Fenster zieht die Realität vorbei. Nebelschwaden, grau in grau, ein Kirchturm, schwarz wie die Singularität, der den Himmel zu erdolchen droht. Züge, Brücken, Straßen, Autos, Mauern, Beton, Stahl, Rost, dazwischen in höhnischen Farben lauernd wahnwitzige Reste dessen, was einst die Natur war. Geräusche, Lärm, Krach, Reizüberflutung, und es ist kalt. Die Lunge fliegt um die Ohren, schneller und schneller, überholt von kreisenden Gedanken und Bildern, deren stroboskopartiger Wechsel keine Möglichkeit lässt, einen klaren Gedanken zu fassen. Gefühle, leichter zensiert als präpariert, runtergeschluckt und in Magensäure ertränkt, bis sie sich ungelöst auflösen und als verbaler Gehirndurchfall ihre missachtete Daseinsberechtigung einfordern. Logbucheintrag 1.1.3 - auf meiner digitalen Uhr fliegen Zahlen vorbei. Blitzschnell und lautlos werden sie nach gefühlten Urzeiten zum Botschafter einer Welt außerhalb der eigenen grauen Masse, die möglichst bald und möglichst kompetent überlebt werden will. Unwille und Widerwille reichen sich die Hand, und während man den Kampf gegen den aufkeimenden Zeitdruck durch Ignoranz und Ablenkung zu gewinnen sucht, stößt man auf Zeilen, die einem beweisen, dass Klarkommen vermutlich oder vermeintlich die Königsdisziplin im Leben darstellt. Dann mal viel Erfolg und einen schönen Tag..

[zustimmen1 Person stimmt diesem Beitrag zu:
Ahabs_Oath, ... mehr anzeigen


Bildet euch.

  [Antwort schreiben]

Forum / Poesie und Lyrik

(c) 1999 - 2024 team-ulm.de - all rights reserved - hosted by ibTEC Team-Ulm

- Presse - Blog - Historie - Partner - Nutzungsbedingungen - Datenschutzerklärung - Jugendschutz -