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Forum / Poesie und Lyrik

Ich ging in dem kleinen Dorf umher

I3I_4CKNINJ4 - 34
Experte (offline)

Dabei seit 06.2005
1618 Beiträge

Geschrieben am: 15.01.2015 um 07:56 Uhr

Ich ging in dem kleinen Dorf umher. Ich wollte es entdecken, erfahren, erfühlen.
Kurz vor dem Rathaus liefen ein paar Jungs neben mir. Sie redeten über diese neue „Organisation“ und, dass man irgendwie dafür sorgen sollte, dass sie sich nicht vergrößert. Unbedacht eher im Rücken gestützt von eher links gerichtetem Gedankengut, dem ich bisher eher angeneigt war, betrat ich die Rathaushalle. Dort waren aber Parolen zu hören, ein Redner mit schwarzem Schnauzer redete von den Gefahren, die geldlose Menschen, die unsere Sprache nicht sprachen, mit sich brachten.
Ich überlegte kurz, ob ich etwas sagen sollte, bekam dann aber etwas Angst, bei diesen geschlossen stehenden Gestalten, die dem lauten Redner zuhörten.
Ich nahm einen anderen Ausgang. Draußen streifte ich meine Füße auf dem Fußabstreifer ab und setzte dann einen Fuß in den Nieselregen.

Am Einkaufszentrum konnte ich nicht vorbeigehen. Dort waren zu viele schöne Betonbauten, die mein einfaches Gemüt erfreuten. Ich musste etwas laufen und springen, an Stangen und Laternen schwingen.
Im diffusen Licht in der Nähe standen zwei unschubladisierbare Menschen und unterhielten sich.
Ich lief auf einen langen, flachen Betonblock zu, sprang, drehte den Körper leicht zur Seite, legte eine Hand auf die Fläche, drückte etwas ab und erreichte damit den Laternenpfahl dahinter, den ich mit der anderen Hand umfasste. Diese roten Laternen, mit dickem Untermast, in der Mitte drei Mäste und oben wieder zusammenlaufend – die haben solch gute, schmale Stangen, an denen man sich herumschwingen kann.
Mein Körper flog gestreckt im Uhrzeigersinn um die Laterne. Ich zog mich etwas an die Laterne heran, wodurch der Drehradius ruckartig verkürzt wurde und damit die Drehgeschwindigkeit erhöht, dann griff ich mit der freien Hand an die nächste senkrechte Stange der Laterne, verkürzte wieder den Arm, griff zur letzten Stange, ließ mich schwingen und ließ los. Ich flog mit den Füßen voraus etwa dreieinhalb Meter, bis meine Füße sich gen Boden bewegten, doch hier war bereits der nächste Laternenpfahl, an dem ich das Spiel wiederholte. Dann wiederholte ich es wieder, und wieder.
Ach ja, mein kleiner, blauer Rucksack war etwas offen – die Bücher! - Ich hatte vor einem Provinzhäuschen ein paar lustige Taschenbücher auf dem Müllkasten gefunden.

Plötzlich kam eine der Gestalten auf mich zu. Sein Gesicht war nun besser zu erkennen, da er von dem Licht der Laterne, unter der ich stand, angestrahlt wurde. Er hatte ein paar restliche Barstoppeln im Gesicht, das etwas breit war und eine leichte Knollennase hatte. Dazu die etwas eingefallenen, braunen oder schwarzen Augen und die dunkelbeige Jacke, eindeutig –
„Verteile doch bitte die ganzen Bücher nicht auf dem Platz“, sagte er im akzentlosen Deutsch. Wieso? Weil sie im Nieseln aufquellen könnten?
Er beantwortete meine Frage selbst: „Denn dann kommen diese ganzen … komischen Leute und sammeln die Bücher auf.“
Wieso sollten denn Flüchtlinge nicht lesen dürfen?
Und wieder beantwortete er: „Wenn sie hier draußen sind und lesen, können sie sich ja gar nicht mehr unterhalten.“
Jetzt konnte ich komplett nicht mehr folgen. Was für eine Meinung beziehungsweise Meinungen vertrat denn dieser jemand?
Erst jetzt fiel mir auf, dass hinter meiner „Flug- und Laufroute“ mehrere friedliche Gestalten aufgetaucht waren, die die Bücher einsammelten.

Der knollige Kerl schaute die Menschen mit grimmigem Blick an, dann drehte er sich halb von mir weg und sagte mit glasigem Blick: „Aber eigentlich sollten sie alle im Elfschlamm versinken. Einbetonieren sollte man sie.“
Mit diesen Worten wollte er den Platz verlassen.
Ich verstand nicht ganz, denn der Mann konnte doch auch froh sein, dass unser feines Land damals seine Eltern aufgenommen hatte. Er sollte doch…
„Wo kommen sie denn eigentlich her?“, fragte ich, weil ich nicht mehr anders konnte.
Nun wirkte er aber gehetzt und wollte nicht mehr kommunizieren.
Er ging die Straße hinab. Ich folgte ihm.
Auch als er in die Einfahrt einer breiten Doppelhausvilla einbog, ging ich noch hinterher. Ein paar der friedlichen Gestalten waren auch mir gefolgt.
Hinter dem Zaun der einen Hälfte standen wohl die Familienmitglieder des Mannes; ein Junge, etwa 10 Jahre alt, ein Jugendlicher, etwas dicklich und groß, zwei Mädchen und die Mutter. Er öffnete den Zaun, machte eine Handbewegung, die nach einer Art Befehl aussah und ging Richtung Haus.
Ich ging auch durch den Zaun und rief ihm hinterher: „Sie sollten doch froh sein, dass sie in diesem Land, in dem sie den ganzen westlichen Luxus auskosten können, wohnen können!“
Der Mann drehte sich nicht mehr um. Das war auch nicht mehr nötig, denn jetzt stand der Dicke im Weg. Der machte mit seiner Miene ziemlich deutlich, was er mit mir vorhatte, wenn ich versuchen sollte, noch einen Schritt vorwärts zu machen oder noch etwas zu rufen.
Ich wollte ihn mit der Rückseite meines Arms etwas zur Seite schieben, da packte er auch schon meinen Arm, der Junge und noch irgendwer, dessen Kraft die einer normalen Frau überstieg, zogen an meinem anderen Arm. So wurde ich gezielt aus meinem Gleichgewicht gebracht, ich drohte Schwäche zeigen zu müssen. Ich senkte meinen Blick und versuchte den ganzen in mir hochquellenden Zorn niederzudrücken.
Das undefinierbare Etwas und den Jungen schüttelte ich mit einer kräftigen Bewegung ab, den Dicken wollte ich mit mir aus dem Zaun herausziehen. Dieser versuchte sich noch einmal kurz im Kräftevergleich, gab es dann aber auch auf und ließ los.
Um die Macht wieder zurück zu gewinnen, schloss er das Zaungatterl mit einem kräftigen Schwung, als ich hindurch war.
Dann stellte sich die Familie geschlossen am Zaun auf und blickte mich mit tiefem Hass an.
Ihr werdet schon sehen, dachte ich. Ich merkte, wie meine Augenbrauen sich Richtung Nase bewegten.
„Ich zerschneide jedem Menschenhasser die Weihnachtsbeleuchtung. Jedem von euch klebe ich die Klingeln zu! Und dann werde ich euren Kleinen die Matchbox-Autos und vor allem die lustigen Taschenbücher klauen.
Ich bin kein Menschenhasser, so wie ihr. Sonst hätte ich meiner Wut schon längst nachgegeben und ihr würdet lallend mit schäumigem Mund und Genickbruch im Gras liegen.
Aber mit eurem Verschließen erklärt ihr euren eigenen Luxus für Vogelfrei und gebt mir damit das Recht euer aller Gut an bedürftige Menschen zu verteilen.
Auge um Auto, Zahn um Hahn!“
Ich zog die Kapuze meines orange-leuchtend geflügelten Pullovers über den Kopf und verschwand in der Dunkelheit.

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Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf

Jonsen - 35
Experte (offline)

Dabei seit 02.2006
1566 Beiträge

Geschrieben am: 15.01.2015 um 18:55 Uhr

Die Entscheidungsgeschichte hat mir echt gefallen. Hab mich da auch ein wenig wieder gefunden. Lebensfreude und ein hauch von schmerz. Fand ich toll. Hier seh ich einfach nur Gewalt, das ist schade.

Ich hab mir mal als kleiner Junge die halbe Hand (so kams mir vor) an einer Laterne abgeschabt. Wir hatten mit Inlinern Straßenhokey gespielt und ich nutzte die Laterne als Bremse. Ich wollte einmal herum fahren. Der Deckel stand aber nach außen ab und die menschlichen Reflexe sind einfach zu langsam um zu reagieren. Also hab ich auch nicht losgelasen.
Das musst hier mal erwähnt werden.

Achtung! Dieser Post könnte Ironie oder Sarkasmus enthalten.

I3I_4CKNINJ4 - 34
Experte (offline)

Dabei seit 06.2005
1618 Beiträge

Geschrieben am: 15.01.2015 um 19:03 Uhr

Und was steht dahinter, was hast du verstanden, was hast du dich gefragt, was für Dinge waren nur "Gewalt"?

Den zweiten Abschnitt verstehe ich noch weniger. Gibt es etwa nur eine einzige Art von Straßenlaternen auf der Welt? Es mag wie bei Zigaretten oder Smartphones doch mindestens 150 verschiedene Arten geben. Und diese eine Art, die ich beschreibe, kenne ich persönlich und habe es auch schön geschafft mich zweimal um diese Laterne zu drehen, ohne auch nur einmal mit dem Füßen zwischendurch den Boden zu berühren.

Ich dachte zumindest, dass das surreale hier deutlich genug dargestellt wurde.

Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf

nikonman - 65
Halbprofi (offline)

Dabei seit 08.2014
103 Beiträge
Geschrieben am: 15.01.2015 um 20:38 Uhr

Das finde ich gut.......
I3I_4CKNINJ4 - 34
Experte (offline)

Dabei seit 06.2005
1618 Beiträge

Geschrieben am: 15.01.2015 um 23:06 Uhr

Wenn du nichts zu sagen hast, das sich zu sagen lohnt, dann sag' doch bitte nichts.

Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf

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