JohnPower
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Geschrieben am: 18.02.2014 um 01:30 Uhr
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Die beiden saßen am Feuer. "Erklär es mir bitte nochmal, Vater. Ich verstehe noch immer nicht." fragte Yul.
"Nun, das ist ganz einfach," begann Bahadur mit der Erklärung, "wenn Du auf einen Feind zureitest, verwende nicht gleich deine Tumer Bulsuu. Diese sind für den Nahkampf vorgesehen. Nimm erst deine langen Pfeile, die fliegen weiter. Je nach Befederung, Material und Länge sogar so weit, dass du sie selbst nicht mehr siehst! Aber glaub mir, wenn du ein guter Schütze bist, triffst du. Ob du dein Ziel siehst oder nicht. Und wenn dich ein Feind im Visier hat, benutze deine Khoron. Siehst du die Narbe?" Bahadur schob seinen für Yul immer noch von magischem Stoff gewebten Ärmel hoch und zeigte eine lange Narbe an seinem Unterarm. "Das hat mir einer der weißen Feinde angetan. Er sühnte durch einen Khoron und starb in grausamen Qualen."
Eine kurze Stille trat ein. Die Türkler, allesamt Tuwiner und Kara Kitai, saßen auf der anderen Seite des großen Feuers und sangen in ihrer typischen, kehligen Art. Ein paar von ihnen brachten sogar ihre Instrumente ans Feuer. Yul verstand ihre Gesänge nicht, aber er fühlte eine tiefe Verbundenheit zwischen sich und den Männern. Er war plötzlich Teil einer Kultur, ein Begriff, der ihm füher so fremd war und er erhaschte in diesem Moment einen Ausblick darauf, wie riesig sein Stamm, sein Volk doch war. Und obwohl er die Sprache der Tuwiner und Kara Kitai nicht verstand, er fühlte ihre Worte auf seiner Haut, hörte die Trauer und Fröhlichkeit und Gesänge über Geister und Krieger mit seinem Herzen. Die Nacht verschlang die fernen Berge hinter ihnen, das tanzende Licht des Feuers spiegelte sich in seinen Augen.
"Was haben die fernen Weißen getan, dass wir sie angreifen, Vater?" "Weshalb fragst du, mein Sohn?" Yul sah seinen Vater mit großen Augen an, er hatte nicht mit einer Gegenfrage gerechnet. "Naja, weißt du, mein Sohn, es ist eigentlich ganz einfach. Ich habe dir doch vom großen Khan erzählt, der unser Reich erst zur Unschlagbarkeit vereine und schließlich ausdehnte." "Ja, natürlich! Der, der uns den Sieg über die Nordweißen brachte." "Genau der! Du lernst schnell, mein Sohn." Yul grinste. "Er hat uns auch auf die Reise geschickt, dorthin, wo die Sonne untergeht. Es war nicht seine Absicht, uns Monate von der Heimat entfernt fremde Städte und Reiche erobern zu lassen. Doch es verschlug uns hierher, weil es dem großen Khan nutzte. Nicht ihm speziell, aber dem Volk! Und nun setzen der Sohn des Khan und dessen Sohn diese Tradition fort, um unserem Volk in der Heimat von Nutzen zu sein. Damit das Volk in Karakorum ruhig und tief schlafen kann." "Aber was haben die fernen Weißen uns denn getan, Vater? Die Tuwiner haben sich uns wie viele andere angeschlossen, aber die Nordweißen wurden besiegt, oder nicht? Und wer, wenn nicht die Nordweißen hätten uns aufhalten sollen? Schließlich werden sie von der Kälte geformt!" verstand Yul nicht.
"Mein Sohn, du musst noch viel lernen. Aber lass dir Zeit dabei, du bist noch jung und kannst viel lernen!" lächelte Bahadur ihn an. "Du kennst außerdem die fernen Weißen nicht. Manche von ihnen sind regelrechte Monster, ich bezweifle sogar, dass sie überhaupt etwas von unserer Art an sich haben. Ich sah ein paar von ihnen, sie reiten ebenso wie wir, aber auf riesigen Pferden, größer als unsere, und in Metall gegossen, von oben bis unten, wie unsere Schwerter! Auch ihre Pferde sind in Metall gegossen, und Hühnenhaft sind ihre Reiter, bestimmt einen Kopf größer als wir. Sie sind schwerfällig, unbeweglich, aber das brauchen sie auch nicht, denn sie schlagen mit einer Wucht zu, die Bäume zu Fall bringt. Aber du brauchst keine Angst haben, mein Sohn, denn wir sind schnell! Unsere Pfeile durchbohren auch ihre metallene Haut, und unter dieser sind sie wie unsere Art. Und sie sind laut, scheppern wie die Kara Kitai im Kochzelt, wenn es genügend sind, hört man sie von überall auf der Welt kommen."
Yul erschrak bei diesen Worten fürchterlich, aber er wusste, dass diese Kreaturen niemals sein Volk besiegen könnten, denn sie waren langsam und schwer. Die Musik der Türkler erklang zusammen mit den tanzenden Flammen, ein großer Holzscheit knackte und es stoben unzählige Funken in den pechschwarzen Himmel. Die Nacht zog ihre Kreise immer enger um das noch wärmende Feuer, doch bald musste Yul schlafen, auch wenn er nicht wollte. Und doch, er wusste noch immer nicht, warum sein Volk gegen diese Kreatuen in den Krieg zog.
"Aber Vater, warum gehen wir nicht einfach nach Hause?" Baradur erschrak, als er seinen kleinen Sohn innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde zum alten Mann reifen sah.
Altai-Kai.
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