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Forum / Poesie und Lyrik

[Ohne Titel]

JohnPower
Profi (offline)

Dabei seit 09.2010
574 Beiträge
Geschrieben am: 30.08.2012 um 02:42 Uhr
Zuletzt editiert am: 27.09.2012 um 00:31 Uhr

Ich gehe durch die Straßen, es ist Hell. Ein ganz normaler Tag. Meine Klamotten zerschlissen, zerrissen, zerfetzt. Wie sagte man früher noch? "Das Herz zerreißen." Habe schon lange nicht mehr so etwas gehört. Es ist lange her, dass ich jemanden sah. Genaugenommen war es an dem Tag, an dem die Katastrophe begann.
Nicht nur eine Bombe hat das Herz dieser Stadt getroffen, es waren bestimmt drei oder vier. Ich erinnere mich daran, als sei es erst vor kurzer Zeit gewesen, überall Schreie und brennende Leichen. Dieses Feuer, dieses Leuchten! Verbrannt, Lichterloh, alles hinfort. Waren zuerst überall Schreie, nach sechs Stunden war alles ganz ruhig. Wie bei Nacht, nur heller.
Ich weiß nicht, wie ich es überlebte oder wie ich bis hierhin überlebt habe, es ist so still. So still.
Und immer Iodtabletten dabei, damit auch ja nicht zuviel in den Kreislauf kommt, schließlich will ich noch durch die Asche stapfen. Es ist fast wie Schnee, so locker-leicht, aber es ist zu Grau. Asche und Trümmer, blankes Gestein. Überall. Wo ich bin, wird niemand mehr kommen. Ich habe mal jemanden gesehen, ziemlich bald nach der Stunde Null, ein Mann stand oben auf einem Trümmerberg und winkte mir zu. Ich habe mich sehr gefreut, jemand lebendiges zu sehen. Als der Mann auf mich zulief, schrie er plötzlich auf und verschwand. Nicht im Boden, zur Seite hin. Ich habe seine Leiche nicht gefunden, aber meine Angst. Und ich fand viele Leichen, verkohlte, verbrannte, zerfetzte, zerstückelte, dahingeraffte Leichen. Manche sahen auch so aus, als schliefen sie nur. Die starben an den Folgen der Katastrophe, sie waren hier raus, sie hatten es hinter sich.
Verdammter Überlebenstrieb.
Irgendwann hat mich das alles nicht mehr Berührt, ich habe mich daran gewöhnt. Auch wenn die Toten immer weniger wurden, der Geruch ging nicht mehr heraus. Aber man gewöhnt sich an alles, auch an den Geruch. Daran vielleicht sogar am schnellsten. Doch an eines werde ich mich nie Gewöhnen: dieses Bild, wie sie zwischen den Trümmern liegt. Ihr Körper völlig unversehrt, ihre Augen schauten mich friedlich an. Sie war so wunderschön mit ihren Augen und den langen blonden Haaren, ihr Gesicht - Monatelang stand ich an ihrem Grab. Und ich spürte, dass da etwas ist, an ihrem Grab. Eine Verbundenheit, eine Illusion. Aber sie sagte selbst, dass Illusionen etwas sehr schönes sein können. Und was auch immer es war, es war schön. Schmerzhaft. Aber schön.
Monatelang stand ich an ihrem Grab, die ersten Tage weinte ich durch. Ich habe mir eine Hütte errichtet, etwas weiter weg, mit Blick auf den Baum, unter dem sie liegt. Wie es ihr wohl ging? Ob sie jemals wieder an mich dachte? Es ist ja nicht so, dass da nichts war, aber doch viel zu wenig und es war zu lange her, es war viel zu Gewöhnlich, für sie. Für mich war es der Blick, der Blick, der mir den Himmel versprach, der mich faszinierte, der mich verwirrte, verzauberte und mir den Atem verschlug. Der Charakter passte so wunderbar dazu! Passte so wunderbar dazu, so wunderbar... so wunderbar...
Es war, es war. Es war schön, damals zu sein, aber ich bin im Hier und Jetzt, gefangen im Sein. Freier als je ein Mensch zu träumen gewagt hat. Sie fehlt mir.


(c) JohnPower, 01.04.2012

Altai-Kai.

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