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Forum / Poesie und Lyrik
Yaardez

Morrigane
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Geschrieben am: 06.08.2012 um 02:05 Uhr
Zuletzt editiert am: 06.08.2012 um 02:06 Uhr
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Ich habe wieder einmal meiner alten Vorliebe gedacht, episodenweise Texte aus dem Zusammenhang zu reißen und sie einzeln zu präsentieren. Der größere Rahmen, in dem diese Geschichte steckt, ist dersselbe, wie bei den Sherra-Nathanael-Geschichten. Diesen Zusammenhang kann ich nicht geben. Es ist meine einzige Geschichte, die rückwärts wächst, in ihre eigene Vergangenheit und selbst ich weiß nicht, was dort auf sie wartet. Ich denke aber, dass diese kurze Episode sich in vielem selbst erklärt.
Yaardez (28.3.08 überarbeitet 2012)
Mein Name ist Makel, der Schriftsteller. Das ist es, wozu ich geworden bin.
Wenn ich dich an die Hand nehmen könnte und dich ein Stück weit durch meine Stadt führen könnte, würden dir zuerst die finsteren, engen Gassen und im Verhältnis dazu viel zu großen Häuser auffallen. Du würdest mich fragen, was das für eine Stadt sei, in der man den Straßen keine Platz gönnt und die Häuser in den Himmel baut. Und ich würde dir antworten, dass dies vielleicht darum geschehe, um dem Schmutz, dem Lärm, der Hässlichkeit und dem Treiben auf Yaardez' Erdboden zu entkommen, vielleicht sogar, um der Stadt selbst zu entkommen und in den Himmel zu flüchten. Doch rätselhafterweise senkt sich mit jedem Meter, den die Stadt in die Höhe wächst, der Schatten tiefer in die Straßenschluchten und verwinkelten Gassen. Je weiter Yaardez dem Himmel zustrebt, desto tiefer und finsterer werden seine Abgründe. Abgründe, wiederholst du.
Und dein Blick wird von dem schmalen Streifen Himmel hinab über die rußigen Fassaden gleiten und dir werden die schmutzigen Pflasterstraßen auffallen, in deren Ritzen und Ecken Moose und Schimmelpilze wuchern. Du wirst merken, dass die meisten Person, die du direkt anblickst, rasch zur Seite ausweichen und die Schritte beschleunigen.
Du wirst dich weiter umblicken und feststellen, dass du nun selbst ein Gefangener dieser Stadt bist. Du wirst das Gefühl haben, von ihren bloßen Dimensionen erstickt zu werden. In dir wird eine Sehnsucht nach offenen Ebenen und weiten Wiesen wachsen.
Ob es nicht wenigstens einen Park oder einen lauschigen Platz in dieser Stadt gibt, wirst du fragen. Ja, antworte ich dir dann. Inmitten der Stadt gibt es einen großen Platz vor dem Palast. Und nicht weit davon entfernt steht die olonische Universität von Yaardez, die bekannteste und größte ihrer Art in ganz NeSorch. Und mit „NeSorch“ meine ich die ganze Welt, nicht nur die Erde auf der du aufgewachsen bist und die du als Realität bezeichnest.
Ich werde dich wieder an die Hand nehmen und wir werden die dunklen Gassen entlanggehen. Du wirst die feuchte und schimmlige Luft riechen, ein bisschen wie in einem Keller oder einem unterirdischen Gewölbe, das man lange nicht betreten hat. Du wirst dich wundern, wie ich mich in diesem Labyrinth zurechtfinde, in dem jede Gasse dieselbe zu sein scheint und nicht einmal einen Namen besitzt. Ich bin hier aufgewachsen, sozusagen, erwidere ich dann, als hätte ich deine Gedanken erraten.
Wir werden eine Weile weitergehen, dann wird sich plötzlich die Gasse ausweiten und es wird dir erscheinen, wie Licht am Ende des Tunnels. Dann sind wir angelangt auf dem großen Platz. Du wirst dich umblicken und den Atem anhalten. „Groß“ und „Platz“ sind die falschen Worte. Was du siehst, wird eine riesige Ebene sein. Du wirst aufatmen; endlich Licht, endlich Raum. Hier, im Tageslicht findet das Leben statt. Du wirst feststellen, dass die Menschen, die hier unterwegs sind, nicht von jener schweren Apathie belastet sind, die du in den Gassen beobachtet hast. Hier ist Leben wirklich Leben. Du wirst erleichtert sein und dein Atem wird tiefer.
Bis du merkst, dass dieser Raum ein Kessel ist, von allen Seiten mit Häusern umgeben, die so riesig sind, dass ihr Schatten beinahe bis zur Mitte des Platzes reicht. Der Platz ist ein einziger Hexenkessel in dem es von den verschiedensten Gestalten nur so wimmelt. Und an seinem Rand ragen die Gebäude düster in den hellen Himmel auf, wie eine Drohung, auch diesen letzten Sonnenfleck noch zu verschlingen.
Dennoch wirst du hier lange verharren, denn du willst nicht zurück in die Dunkelheit der Gassen. Du läufst über den Platz und zum ersten Mal wirst du Menschen begegnen, die dir entgegenlachen.
Das Kranke an dieser Stadt sind die Proportionen, wirst du zu mir sagen, wenn die Größenverhältnisse stimmig wären, wäre diese Stadt nicht mehr ganz so hässlich. Die Stadt ist vermessen, antworte ich. Größenwahnsinnig ist sie, abgründig. Aber was sage ich, das merkst du schon. Man kann Yaardez nicht entkommen, für die Bewohner führt kein Weg nach außen.
Wir gehen weiter und biegen wieder ein in die Gassen. Im nächsten Augenblick verschluckt uns auch schon wieder die Finsternis. Lange Zeit wird nichts mehr um uns sein, als rußbedeckte Häuser, feuchte Pflastersteine und der winzige Streifen Himmel über uns, den man nur sieht, wenn man den Kopf ganz in den Nacken legt.
Wohin jetzt? wirst du fragen. Zur Universität. werde ich sagen. Yaardez' Universität ist die bekannteste auf ihrem Gebiet.
Was ist das für ein Gebiet?, wirst du mich fragen.
Zunächst die Dunkelsucht. Wer das Dunkel sucht, braucht sich nicht vor fehlendem Licht zu schrecken. Es heißt, hier, in Yaardez weiß man um das Geheimnis der Unsterblichkeit. Imbeth soll es hier versteckt haben, bei Herrin Jhraahoo, und das muss man heulend aussprechen, sonst verliert der Name seinen Sinn.
Aber das wird dir nicht gefallen hier, denn es heißt, man soll hier neunmal sterben um das zehnte Mal ewig zu leben. Ich hätte das getan, weißt du, ich schon, hätte ich gewusst, wie. Jetzt schreibe ich Geschichten, und darf nicht einmal meinen Namen darunter setzen, das hat Imbeth so verfügt. Vergessen, soll man mich, da ich so vermessen war, nach der Unsterblichkeit zu suchen. Makel, soll ich darunter schreiben, das soll mein Name sein, sagte sie.
Was interessieren dich meine Geschichten? Du kannst mein Alter nicht in Jahren messen, mit meiner fahlen Haut und den leeren Augenhöhlen bin ich jünger und älter als du. Was interessieren dich meine Geschichten? Du wirst nämlich einen Einfall haben, etwas, das dich viel mehr interessiert.
Wovon leben denn all diese Menschen hier?, fragst du, es müssen Millionen sein. Wer versorgt sie mit Nahrung? Es gibt doch nichts hier, und aus der Stadt kommt niemand hinaus, das hast du selbst gesagt.
Wir werden weitergehen. Wenn wir vor einem kastenförmigen Gebäude mit der Aufschrift „Schlachtschule“ ankommen, werde ich antworten. Sie essen sich auf, werde ich sagen.
Jetzt wirst du lachen. Nein, das glaube ich nicht, sagst du: Menschen, die sich gegenseitig fressen, nein, Makel, jetzt übertreibst du aber wirklich, das gibt es nicht. Wovon sollten denn die Menschen leben, die sie essen? Wieder von anderen Menschen? Und die? Nein, Makel, was erzählst du da, das kann nicht sein, du dreister Lügner!
Dann habe ich gelogen und du hast mir geglaubt?, sage ich: Du hast mir die Verworrendste aller meiner Geschichten bis jetzt geglaubt und nun gibst du einfach auf? Versuch es doch wenigstens!
Wir gehen weiter auf das Gebäude zu. Vor dem Haus stehen Menschen und Tiere, wie angefroren und ihre großen, schwarzen Augen sind unbeweglich und ausdruckslos.
Habe ich dir nicht eingangs gesagt, was mein Name ist, und wofür ich ihn bekommen habe, frage ich. Hast du denn nicht gelesen, dass ich ein Wahnsinniger bin, das nichts von mir bleiben wird, als dieses Stück Papier? Und nun werde ich meine papiernene Lebenszeit nicht damit verschwenden, dir mit seichten Geschichten zu schmeicheln. Abgründe will ich, Geschichten, Menschen, die sterben! Wenn du gehen willst, dann geh. Schlag mein Buch zu, oder schreib dir selbst eins. Aber gönne es mir, Makel, dass ich mir wenigstens in meiner eigenen Geschichte Imbeths Recht über Leben und Tod zu verfügen anmaße. Das ist mein Yaardez, so wie ich es mir vorstelle, geh und schreib dir dein eigenes!
Wir gehen weiter, durch endlose Straßenschluchten. Wo ist der Himmel jetzt, wirst du denken, wenn ich nach oben blicke, sehe ich nur Häuser, wenn ich nach rechts blicke, sehe ich Häuser, die Straße endet – als Haus. Wo ist der Platz, wo ist die Universität, wo sind die Bordelle, an die ich dachte, als Joelle von den Frauen in Yaardez sprach? Häuser, nichts als Häuser, über mir, neben mir. Und dunkel ist es hier, entsetzlich dunkel.
Ich werde in diesem Moment schon verschwunden sein, wieder zurück in mein dreckiges Zimmer, Imbeths Schritte vor meiner Türe, betont leise, als dürften sie mich nicht reizen und die Feder kratzt weiter auf dem Papier. Aber du wirst feststellen, dass du nur einer von vielen bist, um keinen Deut mehr oder weniger wert als die anderen, ein lebendes Stück Abschaum auf dem stinkendem Pflasterweg.
Lecker Senf für alle!
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Geschrieben am: 08.08.2012 um 17:26 Uhr
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ich hab wohl nur ungefähr zwei drittel gelesen. vor allem am anfang waren einige anspruchsvolle sätze dabei, die richtig gut kamen.
mir kamen bei dem text sehr konkrete, "lebhafte" bilder der hohen häuser und engen gassen.
ich konnte aber immer weniger mit dem text anfangen, weil die verwendung des stadt-motivs als zermürbendes, deprimierendes schwarzblaues (meine vorstellung), anonymes etwas in den letzten monaten/ jahren für meinen geschmack zu häufig passiert.
wobei du allerdings nichmal ein trittbrettfahrer, sondern eher sogar ein "pionier" bist, wenn man bedenkt, dass der text von 2008 ist.
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Morrigane
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Geschrieben am: 08.08.2012 um 20:27 Uhr
Zuletzt editiert am: 08.08.2012 um 20:33 Uhr
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Vielen Dank für die Kritik und den Hinweis auf die häufige Verwendung dieses Motivs. Sollte dies sich bei den weiteren Kommentaren als Grundtenor herausstellen, dann werde mir überlegen, Makel eher ironisch auf die Konventionalität des Motivs eingehen zu lassen, als auf die pure Fiktionalität des Textes.
Für mir wäre es dennoch interessant zu wissen, was du von dem letzten Drittel hältst, beziehungsweise, ob es für dich etwas am Verhältnis zu den Vorhergehenden ändert, oder ob du es für zu konstruiert oder erwartbar hältst.
edit: Außerdem würde mich interessieren, ob du diese Geschichte als selbsterklärend empfindest, also, dass ungefähr klar wird, in welchem Rahmen sie sich abspielt, oder eher zusammenhangslos. Weckt sie Assoziationen oder bleibt sie eher unfruchtbar und kryptisch?
Ich bin diesmal ein wenig neugieriger als sonst, aber irgendwie ist mir dieser Text wichtig.
Lecker Senf für alle!
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v2k - 33
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Geschrieben am: 08.08.2012 um 21:15 Uhr
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liebend gern. ich denk, ich werd in den nächsten tagen den text nochmal aufmerksam komplett lesen. mal sehen, inwieweit ich deine fragen dann beantworten kann.
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