I3I_4CKNINJ4 - 35
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Geschrieben am: 05.01.2012 um 18:40 Uhr
Zuletzt editiert am: 05.01.2012 um 19:03 Uhr
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"Sehen sie: meine Finger sind verschrumpelt, irgendwie getrocknete Hautabblätterungen, ganz schön kratzig, sollte man meinen. Das liegt daran, dass ich gerade Schnupfen habe. Ja, ich weiß, sie kennen das. Dieses ewige Nase laufen. Drei mal in fünf Minuten schnappt man sich das tropfende Papiertaschentuch und beim vierten und fünften Mal läuft man zu dem Waschbecken an der Toilette und rotzt sich den Schleim in die Hand, weil die Paiertaschentücher ausgegangen sind und wäscht ihn - meist nur rudimentär - von der Haut ab. Das ist ganz schön ökologisch, es spart Papier! Nun, hinzu kommt natürlich, dass sich auf meinen Fingern eine ganz schön dicke Hornhaut befindet, aufgrund der exzessiven Kletter- und Boulderstunden. Vermischt mit Grippenschleim ergibt das einen Pilz, der aussieht wie...
Naja, sie wissen schon.
Warum ich krank bin? Na, dann lassen sie mich mal erzählen:
Zuerst einmal möchte ich bemerken, dass ich es ganz schön interessant finde, dass sie überhaupt fragen. Normalerweise wird es von den meisten Menschen als selbstverständlich betrachtet, das wir im Industriezeitalter durch unsere Verwöhnungsmaschinen ein überaus geschwächtes Immunsystem haben, Medikamentenwahnsinn und Fertig-Essenprodukte in uns hinein stopfen, die gleich noch für eine schlechte Konstitution sorgen und deswegen sicherlich auch krank werden können. Vor allem im Winter, wenn es so kalt ist.
Aber sie sind ja zum Glück kein normaler Mensch. Sie wissen natürlich, dass eine "Erkältung" rein gar nichts mit der Kälte zu tun hat. Unter normalen Umständen, also unter den Neo-Normalen Umständen. Sprich: Wenn seinen normalen Tag lebt. Dann sollte zumindest jeder genügend Kraft und Energie im Körper haben um seine Kerntemperatur auf Normalniveau zu halten. (Schon wieder so ein Normal) Krank wird man vor allem durch trockene, warme Heizungsluft. Ein Idealer Nährboden für Bakterien und Viren.
Also, lassen wir die Sache mal an meinem Subjekt beispielend erklären:
Quietschvergnügt und gesund startete ich in meine zwei Marathon-Wochen:
Fünf Tage lang von halb drei am Nachmittag bis um halb eins in der Nacht Pizza backen, dann gleich darauf zwei Stunden mit dem Zug zu den Eltern zum Weihnachts-heucheln und am 1. Heucheltag mit dem Onkel noch zusammen lachen. Dann ging es gleich am 2. Sie-Wissen-Schon-Tag zur nächsten Freudewiese: zu den Eltern meiner Freundin und abends mit dem erschnorrten Bayernticket auch wieder zurück in die große Großstadt. Dann kamen wieder drei Tage lang Pizza backen mit dem Nachhause kommen um halb eins und gleich darauf, um 5 Uhr morgens ging es zur Startstation bei Freunden, um zur Silvesterhütte aufzubrechen. Hier sei bemerkt, dass gerade der wenige Schlaf für weniger Energie sorgt.
Angekommen in der Selbstversorgerhütte in Arzl im Pitztal, was gerade einmal auf 883 Metern über dem Meer liegt, legten wir - das waren insgesamt 14 Leute - gleich einmal mit etwas Schlittenfahren am Hausberg los. Es schneite ununterbrochen und ich hatte keine Mütze an. Vierzig Zentimeter Neuschnee taten ihr Übriges um meinen Kopf extrem zu kühlen. Hier war aber immer noch keine ausreichende Virenzucht vorhanden. Die wirkliche Schwächung kommt noch, am nächsten Tag.
Wenn sie richtig gerechnet haben, wissen sie, dass dieser nächste Tag wohl ... ja genau Silvester gewesen sein muss. Eine zahlenmäßige Bagatelle. Da feiern nur Leute, die auch unbedingt an einem "12.12.2012" heiraten wollen. Solche, für die es etwas Besonderes geben muss. Sprich: Hedonisten. Sie können nicht erkennen, dass jeder Atemzug süßer Honig ist.
Wir waren aber die inoffiziellen Organisatoren. Also mussten wir uns ja etwas Besonderes ausdenken.
Hinter dem Dorf, etwas den Hügel hinab und ein kurzes Stück durch den Wald befindet sich eine Brücke, die knappe hundert Meter über einem Flüsslein liegt. Man kann auch Bungee von ihr springen. Hinter dieser Brücke geht es einen steilen Hügel hinauf, von welchem man das ganze Dorf sehen kann.
Da ja überall am 31.12. die Menschen trotz Klimaerwärmung und Umweltverschmutzung meinen dem Wahnsinn noch eins drauf geben zu müssen und jährlich das I-Tüpfelchen an Abgasen und Treibhausgasen in die Luft jagen, konnte man von hier aus das Spektakel des Dorf-Feuerwerks betrachten.
Wir trotteten also mit der Halb-Betrunkenen Gruppe über die Brücke, durch den Tiefschnee und stellten uns auf.
Mir war durch den kurzen Aufstieg warm geworden. Deshalb zog ich mich bis auf ein T-Shirt aus.
Während der Wartezeit auf das neue Jahr - man wie ... Aaarg ... muss man eigentlich sein? Das ist doch nur eine von den großen Rechnern festgelegte Zeit - wurde Sekt ausgeteilt und mir wurde es auch wieder etwas kalt, also zog ich den Odlo-Pullover und die "Panzer"-Jacke wieder an.
Ich wollte nicht anstoßen. Ich wollte nicht dastehen und schief oder schön grinsen, wenn für alle das neue Jahr beginnt. Wenn es schon eine festgelegte Zeit sein muss, wenn ich mich schon so weit anpassen muss, dann soll es auch für mich etwas Besonderes sein:
Als es auf dem iPhone von einem Hüttenbewohner Null Uhr schlug sprang ich - mit den Armen voraus - den steilen Hügel hinab und schrie: "Für die Freiheit", kugelte mich durch den Tiefschnee und sprang wieder ab. Dann kam "Für die Liebe" dran und beim dritten Sprung folgte: "Für die Menschen", was aber durch den Zusammenprall meines Gesichts mit dem Schnee stark abgedämpft wurde. Bei jedem Aufprall sammelten sich viele Scheekugeln und -kügelchen zwischen Kleidung und Haut an meinem Rücken. Wie sie sehen ist das eine doppelte Schwächung: Der Kopf war ziemlich angeschlagen, wie sich erst später, beim wieder hinaufgehen herausstellte, und der Rücken stark durchgekühlt.
Nach dem Anstoßen fanden die Anderen das mit dem Herunterspringen auch ganz witzig, also kugelte ich mich mindestens noch fünf weitere Male den Hügel hinab, ohne dabei wirklich zu Schaden zu kommen. Allerdings entdeckte der Schnee bei jedem Sprung und jeder Role neue Lücken in meiner Kleidung: Zwischen Ärmel und Handschuh, zwischen Hose und Schuhansatz und als letztes bemerkte der Schnee auch noch, dass er ganz einfach nur meine dünne Jogginghose durchdringen musste, um mich zu kühlen.
So durchnässt trat ich als erstes den Rückweg an. An den ersten Häusern des Dorfes angekommen hörten wir - die ersten, langweiligen "Nachhause-Geher" - recht interessant klingende, überaus laute Musik aus einer Garage tönen. Als wir stehen blieben winkte uns der offensichtlich betrunkene Hausherr herbei und wollte uns Schnaps servieren. Nur zwei von uns vieren bejahten. Und diese zwei sollten auch weitertrinken, bis alle anderen Nachzügler unserer Gruppe eingetroffen waren und weiterbleiben, nachdem die letzten Nachzügler wieder gegangen waren.
Meine Freundin und ich verzogen uns bald, weil wir sowieso nichts tranken und auch am nächsten Tag fit sein wollten um Skilanglauf und -skating zu machen.
Das sollte uns aber nicht gewährt werden. Knappe eineinhalb Stunden standen diejenigen, die als erstes die Schnäpse bekamen unten an der Garage bei "Charly", wie er später genannt wurde und tranken Schnaps für Schnaps. Obwohl die meisten unserer Gruppe fast jeden Schnaps wegkippten, tranken diese beiden immer weiter.
Ich bekam das ja nicht mit. Ich war schon, nur noch mit Boxershort und Shirt bekleidet unter der Decke verkrochen, endlich im Warmen und auf einen neuen, frischen Tag hoffend, fast eingeschlafen.
Dennoch platzte plötzlich einer in unser Zimmer mit den Worten: "Ich brauche Hilfe. Sofort! Wir müssen dem Ben helfen, der ist total betrunken."
In siebeneinhalb Sekunden hatte ich Socken, Hose und Schuhe an und rannte im T-Shirt die Straße hinab. Eine Gestalt stand vor einer Liegenden im Schnee.
Dem Liegenden versuchte ich aufzuhelfen, es war aber nach wenigen Sekunden abzusehen, dass keinerlei Körperkontrolle mehr von ihm ausging. Also hob ich ihn an. Aber selbst unter Aufwendung meiner ganzen Kraft war er mir etwas zu schwer und der andere, der sich gerade noch selber auf den Beinen halten konnte, war keine Hilfe; die Hände, die er an den halbtoten Körper legte, zogen das Gewicht eher noch hinab als hinauf.
So trug ich den vollkommen Betrunkenen zwei, drei Meter die Straße hinauf, bis es mir zu schwer wurde, und ich ihn, halb im Schnee, halb auf meinen Knien liegend, ablegte.
Der, der vorher um Hilfe schreiend ins Zimmer gestürzt gewesen war, kam nun auch endlich, mit noch zwei weiteren Helfern im Schlepptau die Straße hinunter.
Aber selbst zu zweit oder zu dritt, war es glatt zu schwer einen nassen Sack zu halten, der nur die vom Körper rutschende Kleidung als Haltepunkt bot.
Zum Glück hielt dann noch ein Auto an, und der Junge wurde in die Hütte gefahren. Der andere, der gerade noch stehen konnte, wurde in die Hütte begleitet.
Nachdem noch ein paar Sanitäter und komischerweise die Polizei den Abend abrundeten, war es geschafft, ein wunderschönes Silvester.
Schön durchgenagt, bekam ich einen Tag später, also am 2.1. noch eine überhitzte - mit trockener, warmer Heizungsluft geschmückten - Autofahrt präsentiert und aus war es: Die Nebenhöhlen waren zugepumpt mit Streptokokkenkulturen, die Kerntemperatur meines Körpers fand nach wenigen Stunden keine andere Möglichkeit mehr, als die Viren solange brutzeln zu lassen, bis sie freudig selbst abdankten, bevor es die Körperinneren Eiweiße taten.
Also. Ich hoffe, sie haben nun verstanden, dass Kälte rein gar nichts mit einer Erkältung zu tun hat."
"Also Bitte. Wenn ihr Schreiberlinge schon unbedingt Gott spielen müsst, dann macht es doch nicht ganz so ohne Hehl.", sagte der Lektor, zerriss das Blatt und warf es in den Papiermüll.
Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf
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