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Forum / Poesie und Lyrik

Melancholiekrankheit

Morrigane
Profi (offline)

Dabei seit 07.2006
955 Beiträge

Geschrieben am: 13.07.2011 um 22:57 Uhr



"Sie können mir helfen? Bestimmt können Sie mir helfen.
Ich weiß, ich rede gerne wirr, meine Schüler halten ich für bekloppt, aber Sie, man hat Sie dazu ausgebildet, dass Sie mich ernstnehmen. Ihr Beruf besteht darin, Menschen ernst zu nehmen."

"Ich sage prinzipiell nicht, dass ich jemandem helfen kann. Ich kann Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Sie werden Ihre Stunden bei mir nehmen und gemeinsam werden wir versuchen. Ihr Leben so zu strukturieren, dass es Ihnen wieder gefällt. Aber gut, dann erzählen Sie mir vielleicht am besten, was Sie hierherführt und was Sie erwarten."

"Erwarten? Nichts. Aber ich sage Ihnen später warum.
Ist das Goya, da über Ihrem Schreibtisch? Ich unterrichte gerade Goya, ich bin froh, dass sie die Lehrpläne umstrukturiert haben. Aber das ist eine Kopie, nicht wahr, in Acryl? Auch die Größe stimmt nicht, wenn ich mich nicht irre. Aber warum hängen Sie sich sowas in die Praxis? Hat noch nie jemand... Sie wissen schon, das Ding ist eben nicht die Art von Kunst, die in Azrtpraxen hängen... hat noch niemand sich beschwert? Ich meine, dass hier hat eine Aussage, sogar eine latente Bedrohung impliziert es, es ist nicht abstrakt, womit ich gezähmt meine, denn die Abstarktion kann ohne Frage nicht derartige Gefühle hervorrufen. Eine schwarze Leinwand macht niemandem Angst, aber ein solches Bild... Das hängt man nicht einfach auf, das bedeutet etwas."

"Worauf wollen Sie hinaus?"

"Das ist kein Goya, das haben Sie gemalt, stimmt es? Warum haben Sie mich nicht gleich unterbrochen? Ach ja, Sie werden fürs Zuhören bezahlt, nicht für das Unterbrechen."

"Können Sie mir sagen, warum dieses Bild in Ihnen solche Empfindungen auslöst?"

"Das... Sie haben das mit Absicht aufgehängt! Sie wollen die Menschen damit knacken, mit diesem Bild, dem man sich nicht entziehen kann. Oder nein... Es ist IHR Bild. Es gefällt Ihnen. SIE sind das, auf dem Bild."

"Ich habe es aufgehängt, weil es mir gefällt, ich hatte keine Absichten dabei. Es ist ein Bild, das hat nichts mit mir zu tun. Könnten wir jetzt fortfahren."

"Sie wehren sich gar nicht. Sie wollen sich nicht wehren, sondern endlich entdeckt werden. Wollten Sie wirklich Menschen helfen? Ich glaube das nicht, ich glaube es nicht! Ich sollte hier sitzen, nicht Sie! Ich sollte Ihnen helfen, nicht Sie mir! Ich bin zum Helfen geboren nicht für den Unterricht, nicht für die Kunst. Das sind Sie!"

"Was soll das!"

"Wer kann schon ein Leben lang Angst malen, wunderschöne bizarre Angst, die niemand kauft. Deswegen hängt hier dieses Bild, aus Trotz! Sie hätten kein Künstler werden können, Existenzangst. Und doch gibt es niemanden, der Angst besser dargestellt hätte, als sie. Was machen Sie hier?
Sie hassen die Abstraktion, genauso wie ich. Ich möchte konkrete Darstellung, ich möchte Wissenschaft, ich möchte Abgründe, ich möchte analysieren, helfen, nicht verwischen. Sagen Sie, das es wahr ist."

"Dann sind wir denn beide dem Untergang geweiht?"

Mitten auf dem Tisch lag eine Fliege auf dem Rücken. Sie zappelte, aber die beiden beachteten sie nicht, so dass sie sie weder wendeten, noch endgültig zerquetschten. Man hatte das Gefühl, dass sich etwas unabänderlich Schweres in den Raum senkte. Es war die Luft, die an der Decke kondesierte und zäh wie Beton hinabsickerte.

"Das Gewicht der Welt liegt auf deiner Zunge.", sagte der Künstler, als der Schleim zäh und fest ihre Füße umschloss.

Sie würden sich lange ansehen müssen, und an ihrem Anblick kranken.



Lecker Senf für alle!

Slow_Turtle - 31
Champion (offline)

Dabei seit 12.2009
2382 Beiträge
Geschrieben am: 13.07.2011 um 23:06 Uhr

eine Kurzgeschichte..?!

schön geschrieben :)


brizi - 38
Profi (offline)

Dabei seit 03.2007
434 Beiträge

Geschrieben am: 15.07.2011 um 23:29 Uhr

ich liebe es. ich liebe diese exzentrik.
die rollen sind perfekt gezeichnet. selbts der aalglatte seelenklempner, der sich gegen ende fast schon vor sich selbst entschuldigt, obwohl er sich in der position des nicht-preisgebens fühlt und es dennoch tut.
nur wer hat hier wen angesteckt? ist es der künslter, der seinen wahn zu analysieren vermag und ihn sogar aussprechen kann ... was ihm seinen ruf als wirren redner beschert?
ist jetzt halt die frage, ob der künstler sein gegenüber durchschaut hat oder ob er in einen metaphorischen spiegel sieht als er das bild betrachtet.
ich würde gern glauben, dass dem künslter ein blick in die gemalte seelenwelt des seelenklempners genügte um ihn vollständig zu erkennen. das ist romantik wie ich sie mag. absurd, aber... oder gerade dadurch lebendig. die rhetorik muss man bei dir ja nun nicht mehr loben, was ich aber hiermit doch irgendwie getan habe ^^

wirklich sehr ansprechendes werk.



Das beste Argument gegen die Demokratie, ist ein 5-minütiges Gespräch mit einem x-beliebigen Wähler

schlutz - 32
Experte (offline)

Dabei seit 05.2005
1636 Beiträge

Geschrieben am: 15.07.2011 um 23:35 Uhr

schön geschrieben.

Die Menschheit verreckt sowieso, aber diese Ente hat noch eine reelle Chance!

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