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Forum / Poesie und Lyrik

Urban Logistica

I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte (offline)

Dabei seit 06.2005
1618 Beiträge

Geschrieben am: 10.03.2011 um 23:18 Uhr

Gott hatte sich wohl dazu entschieden, dass es heute heiß sein sollte. Die glühende Scheibe am Himmel verschoss goldene Lanzen, die sich unentwegt in den trockenen Asphalt und in die Köpfe der wartenden Menschen bohrte und dabei noch den letzten Tropfen Flüssigkeit in den Himmel stahl. Nun, es war zu erwarten, dass nicht das kommende Ereignis, sondern eher das Auftauchen einer noch so kleinen Wolke fast allen hier ein Lächeln zwischen die Mundfalten drücken würde.
Wir befanden uns in Vindiba, Provinz der neurömischen Zentrallegion. Es waren die Urban Logistica-Meisterschaften des meistbesuchten und meistumkämpften Bezirks Westeurasiens zugange.
Als der suizidial-Sonnenkundschafter am Ende der dritten Eiszeit n.H. das erste Mal Temperaturen über Minus fünfundzwanzig Grad Celsius vermessen konnte, hatten die Radikal-Ökologen bereits fast alle Wählerstimmen der im riesigen Bunker im Untergrund lebenden Menschen von ihrem großen Glauben an ein funktionierendes System überzeugt. Seitdem lebten die meisten in stark begrenztem Luxus im Gegensatz zu der Zeit nach der zweiten Eiszeit.
Der meistverbreitete, aber wohl auch am wenigsten lukrative Beruf war die Generatortätigkeit geworden. Nur wenige hielten ihren Tagesschnitt über hundertfünfzig Watt die Stunde. Diejenigen, die über zweihundert Watt schafften, und das über eine Woche hinweg, bekamen eine Premium-Abrechnungskarte. Damit verdiente man schon genügend, um nach zwanzig Jahren aufhören zu können. Man musste aber aufpassen - so erzählte man sich, dass man seinen Schnitt niemals über dreihundert brachte, sonst kamen die RR-Einheiten, nahmen denjenigen mit, und er wurde nie wieder gesehen.
Damit nicht jeder in Trübsal versank, wurde Urban Logistica erfunden. Eine Art Spiel, oder Rennen, bei dem jeder sein Glück versuchen, oder seine Lebenskraft testen konnte. Es waren Schnellkraft, Durchhaltevermögen und eine maschinenhafte Auffassungsgabe gefragt. Wer es durch die Qualifikation schaffte, bei der nur die dreiundzwanzig besten der höchstwahrscheinlich tausend Teilnehmer durchkamen, bekam einen ganzen Monatslohn. Diejenigen aber, die ins Finale der besten sieben kamen, - und noch in zwei Finale der anderen Bezirksmeisterschaften - wurden zu größeren Rennen eingeladen. Der Gewinner - aber nur der Gewinner - bekam ein großes Preisgeld.

"Siehst du den da, Harry? Der war beim letzten Mal im Finale. Was sagt dein Cycledex zu ihm?" Tad hatte drei Tropfen auf der linken und rechten Wange, die trotz des großen, schwarzen Hutes nach Schweiß aussahen. Er stand, auf seinen Lenker gestützt, neben seinem Freund Harry, der an einem kleinen, maschinellen Gerät mit Display und Lautsprechern herumnestelte. Tad hatte auf einen Kerl mit breiten Oberschenkeln und knallrotem, gefederten Crycium-Singlespeeder gezeigt.
"Das ist Dave Carr. Eine Allround-Maschine. Sein Rad wiegt nur drei Komma acht Kilo. Durchschnittsgeschwindigkeit: sechsunddreißig Kilometer pro Stunde. Von Null auf dreißig in siebzehn Sekunden. Rücksichtslosigkeit: sechsundsiebzig Prozent. Er macht in einer Stunde etwa 20 Punkte. Für mehr Infos müsste ich mir den Stufe zwei Tarif besorgen..."
"Was redet ihr denn da?", ein hellaufgeweckter Junge saß lachend, fragend und versunken in seinem dreirärdrigen Liegefahrrad unter einer goldbestrhalten Pinie.
Als Harry und Tad das sahen, wollten sie schon laut losprusten - Ein Trike-Fahrer bei Urban Logistica. Das hatten sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen.
"Bringen euch solch Infos etwa etwas, um zu gewinnen?", setzte er noch dazu.
Ihr Lachen implodierte in der Magengrube. Gewinnen? Darüber hatten sie seit drei Jahren nicht mehr nachgedacht. Mittlerweile wollten sie zumindest einmal durch das Qualifikationsrennen kommen.
Aber diese Junge sprach das Wort "gewinnen" in einer so seltsamen Art und Weise aus, dass sie an ihre Träume vor Jahren erinnerte. Nur, dass er es aus tiefer Überzeugung sogar in Erwägung zog.
"Gewinnen? Hier in Vindiba hat schon seit zwölf Rennen niemand anderes als Levi Pulta gewonnen. Der ist in fünf Sekunden auf dreißig und macht jedes Jahr im Finale mindestens fünf Punkte mehr wie der zweitplatzierte. Einmal ist er sogar mit einem Bein gefahren, weil das andere gebrochen war - Er hat trotzdem gewonnen. Ich glaube der hat nicht einmal Bremsen..."
"Nun ja, dann wird es eben eine interessante Herausforderung."
Etwas war doch an dieser Stimme, etwas auch an der Gestalt, am blitzenden Wirken seines Wesens. Als er aber ein wenig weiterrollte, sahen sie nur noch seine dünnen Oberschenkel und taten seine Behauptung als schwach gelogen ab.


Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf

Jolly_Roger
Halbprofi (offline)

Dabei seit 03.2010
348 Beiträge

Geschrieben am: 11.03.2011 um 10:18 Uhr

hmm...wie immer sprachlich schön gestaltet und ausgemalt. Darin magst du Künstler sein. Einigermassen verstehe ich den Hauch einer etwaigen Kritik unserer heutigen Gesellschaft, trotzdem würde ich mich freuen, wenn du diesen meinen Gedankengang nach deiner Schreibintuition weiterführern, oder verbessern würdest :)

Licentia poetica

I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte (offline)

Dabei seit 06.2005
1618 Beiträge

Geschrieben am: 12.03.2011 um 12:16 Uhr

Wenn dem so sei, dann ist es aber das einzige Attribut, das ich zu einem richtigen Schreiber habe. Im Gegensatz zu dir fehlt mir das nötige Gedankengut, die Planung und die Konsequenz es auch durchzuziehen.

Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf

Jolly_Roger
Halbprofi (offline)

Dabei seit 03.2010
348 Beiträge

Geschrieben am: 12.03.2011 um 12:41 Uhr
Zuletzt editiert am: 12.03.2011 um 12:42 Uhr

Zitat von I3I_4CKNINJ4:

Wenn dem so sei, dann ist es aber das einzige Attribut, das ich zu einem richtigen Schreiber habe. Im Gegensatz zu dir fehlt mir das nötige Gedankengut, die Planung und die Konsequenz es auch durchzuziehen.


Vielleicht sind es auch genau diese Gedanken: "..fehlt mir das ...." die die Muse hindern, näher zu kommen . Für meinen Teil schreibe ich lediglich dann, wenn ich die Muse spüre, aus reiner Freude, meine Gedanken zu Papier zu bringen. Zwang beim Schreiben, darf nie dahinter stecken, sonst wird man nie frei schreiben können.(und das sagt ein Schreiberlaie ;) )

Licentia poetica

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