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Forum / Poesie und Lyrik

Ein Ausschnitt für den Kritikfrosch und die Brezel

I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte (offline)

Dabei seit 06.2005
1618 Beiträge

Geschrieben am: 18.02.2011 um 19:18 Uhr

Frisch vom offenen Bücherschrank auserlesen, und die zwei ersten Seiten ausgelesen, musste ich so lachen und an euch beide denken, dass ich nicht anders kann, als es hier hinein zu stellen:

"Der Garnix-Mann" von Jim Thompson:

Tja, nun waren sie alle gegangen, alle außer mir: all diese klarsichtigen und klardenkenden Menschen, die in höheren Regionen schweben und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und den Redaktionsstab des Courier in Pacific City vorstellen. Wohligwarm im Bewusstsein getaner Tagewerke, hatten sie sich in ihre Heimat zurückgezogen, sich in das süße Refugium ihrer Familien, die offenen Arme ihrer tapferen kleinen Frauen und die freudigen Umarmungen ihrer Kinderchen gerettet. Und mit ihnen ging der Klarsichtigste und Klardenkendste von allen, DAve Randall, kein Geringerer als der Lokalredakteur des Courier.
Auf seinem Weg nach draußen blieb er vor meinem Schreibtisch stehen, mit beiden Beinen fest auf dem Boden - oder soll ich sagen, den Dielen der Lokalredaktion -, aber ich sah nicht gleich hoch. Ich war zu gerührt. Wie Sie zweifelsohne bereits vermutet haben, nenne ich das Herz eines Dichers mein eigen; ich denke in Gleichnissen. Und vor meinem inneren Auge sah ich das Bild unzähliger Vatervögel, die ihre matten Flügel Richtung Nest schwangen, wo die geduldigen Muttervögel und die kleinen Vögelchen auf sie warteten. Und - ich gestehe dies ohne Scham - ich konnte gar nicht hochschauen. All die Papavögel, die sich zu ihren Nestern aufmachten, während ich -
Ach was. Ich rang mir ein fröhliches Lächeln ab. Auc ich hatte meine Familei; war Mitglied der glücklichen Courierfamilie - klarsichtig und klardenkend. Und wessen Braut hätte vornehmer als die meine sein können, was edler, als mit seiner Arbeit verheiratet zu sein?
Dave räusperte sich und wartete darauf, dass ich das Wort ergreifen würde, dann langte er über meine Schulter und nahm sich eine Fahne meiner Kolumne "Durch's Städtchen schau'n mit Clinton Brown". Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass der Courier sich in diesen Angelegenheiten äußerst generös verhält. Der Courier glaubt daran, seinen Beschäftigten eine Möglichkeit zum Wachsen zu geben. Darum arbeiten Schreiber als Reporter, Reporter als Schreiber, Textredakteure wie ich konnten jenen Talenten freien Lauf lassen, die bei so vielen anderen Zeitungen durch die strengen Vorschriften der Gewerkschaften beschränkt worden und daraufhin verkümmert wären.
Wir ließen uns nichts von Gewerkschaftsbossen vorschreiben. Unser Beschützer, unser unfehlbarer Freund und Berater, war Austin Lovelace, Herausgeber des Courier. Die Tür zu seinem Büro stand, im wahrsten Sinne des Wortes, immer offen. Und jederzeit konnte man mit einem Problem zu Mr. Lovelace kommen, in der Gewissheit, dass es sofort und ohne jede Einmischung von aussen gelöst werden würde.
[...]
Er legte die Fahnen auf meinen Tisch und räusperte sich erneut. Er hatte immer Schwierigkeiten gehabt, sich mit mir zu unterhalten; aber trotzdem bestand er darauf zu reden. Manchmal wirkte es fast, als habe er ein schlechtes Gewissen.
"Äh, ganz schön spät noch am Arbeiten, was, Brownie?"
"Spät, Colonel?`", sagte ich. Ich hatte schließlich meine Fassung zurückgewonnen und schenkte ihm ein tapferes klarsichtiges Lächeln. "Nun, ja und nein. Ja für einen Papavogel im Nest. Nein für einen nestlosen Nichtpapavogel. Meine Braut ist die Arbeit, und ich vollziehe gerade unsere Ehe.
"Äh... da fällt mir auf, dass dein Bild ziemlich unscharf ist. Ich werde ein neues für die Kolumne bestellen."
"Lieber nicht, Colonel" sagte ich. "Ich denke da an all die Damenvögel, die meinen markanten, scharfgeschnittenen Zügen nicht widerstehen können und in freudiger Erwartung die Schwanzfedern spreizen. Ich denke auch an ihre Enttäuschung am Ende... Sie verzeiehen mir doch das Bild, Colonel. Ganz im Gegenteil, ich bin dafür mein Foto ganz verschwinden zu lassen und durch etwas Passenderes zu ersetzen, sagen wir, ein Wappen -"
"Brownie -" Er zuckte zusammen. Kaum hatte ich die Harpune erhoben, schon zuckte er zusammen. Und es verschaffte mir keinerlei Befriedigung mehr - falls es mir je welche verschafft haben sollte -, aber ich fuhr fort.
"Irgend etwas Symbolisches", sagte ich. "Sagen wir, einen Trottel vor zwei Dritteln eines Pfandleihschilds, einen selbstgefällig und gewitzt blickenden Trottel.Und dsa Motto, die Devise - wie steht's mit Ihrem Latein, Colonel? Wie lautet die Übersetzung von 'Ich bereue, dass ich meinem Vaterland nur meinen Penis opfern konnte'?"
Er biss sich auf die Lippe, sein schmales Gesicht sah gleichzeitg angewidert und besorgt aus. Ich nahm die Flasche von meinem Schreibtisch und trank in langen und durstigen Zügen.
"Brownie, um Gottes willen! Wirst du niemals aufhören?"
"Doch", nichte ich. "Ehrenwort, Colonel. Wenn diese Flasche erst einmal leer ist, rühre ich keinen Tropfen mehr an."
"Das meine ich nicht. Nicht nur jedenfalls. Es ist - alles andere! Du wirst zu ausfallend. Mr. Lovelace ist gezwungen, dich -"
"Mr. Lovelace und ich", sagte ich, "sind Brüder im Geiste. Einander so nah wie zwei Vöglein im Nest. Mr. Lovelace würde mir auch dann noch hehre Motive unterstellen, wenn ich mich in eine Taube verwandle und mich auf seine schneeweißen Locken entleere."

Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf

-billyboy- - 33
Profi (offline)

Dabei seit 04.2006
818 Beiträge

Geschrieben am: 18.02.2011 um 20:03 Uhr

Und du hast dir extra wegen zwei Chaoten die Mühe gemacht, und diesen durchaus amüsanten Anfang des Buches abgetippt?

Tatsäclich erinnert der Held mit seinen Kommentaren und auch seiner Art, zu denken, an die Personen, denen du deinen Text gewidmet hast. Ich erkenne da schon kleine Parallelen. Ich bin sicher, sie freuen sich, wenn sie diesen Ausschnitt sehen.
brizi - 38
Profi (offline)

Dabei seit 03.2007
434 Beiträge

Geschrieben am: 18.02.2011 um 21:00 Uhr

Das ist ja mal ein cooler Typ!

danke fürs abtippen :D muss mich mal erkundigen um was es da weiter geht ^^



Das beste Argument gegen die Demokratie, ist ein 5-minütiges Gespräch mit einem x-beliebigen Wähler

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