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Moderne Korallen

I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte (offline)

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1618 Beiträge

Geschrieben am: 14.01.2011 um 01:39 Uhr

"Kannst du atmen?", fragte ich Johann, als wir uns beim Betreten der windigen Aussenwelt genüsslich das Grinsen verkneifen mussten. Der Frühling hatte gedacht, er würde ein paar Monate früher auftauchen, also reichte ein Hemd für mich und ein offenes Jäckchen für meinen Freund, was allerdings mit fast boshaftem Unverständnis der Umstehenden kommentiert wurde.
Verdutzt sah er mich im weitergehen an sagte: "Nein?" Vielleicht wusste er ja, worauf ich anspielen wollte, vielleicht auch nicht. Jedenfalls hatte ich beschlossen es ihm beizubringen.
"Gut, dann wirst du heute einen Einblick bekommen, was man alles kann, sobald man gelernt hat, zu leben."

Die Farbe des Goldes ist wirklich schwer zu definieren. Jedenfalls schimmerte dieser Ton ein wenig aus dem glibbrigen, wabernden Etwas hervor. Neben tiefblau, Horiziontpigmenten und einem wunderschönen türkis, das man sonst nur an Mittelmeerstränden sehen darf, hatte sich also auch dieses matte braun hinzugesellt. Es sah fast so aus, als würde es sich bewegen, als würde es leben.
Das dachte jedenfalls Johann, während er vom Geländer an der Brücke der Donauinsel die zwei Einkaufswagen betrachtete, die über Jahre hinweg ganze Städte aus Rost im Wasser gebaut hatten. Zusätzlich versuchte er noch zu enträtseln, wozu Basilis den Schlüssel zu seiner Wohnung haben wollte. Dennoch lenkte ihn die schwappende Flüssigkeit über zehn Meter unter ihm irgendwann so ab, dass er bereits gedanklich mit ein paar Clownfischen von Seestern zu -igel schwamm, als er Basilis hinter sich sagen hörte:
"Es tut mir Leid. Mir sind nur schmerzhafte Wege eingefallen.
Du hast dich übrigens richtig hingestellt. Genau hier findest es statt. Es gibt drei Möglichkeiten zur Auswahl."
Johann wollte sich umdrehen, während Basilis ihm eine Augenbinde anlegte.
"Pst. Nicht schauen. Erst möchte ich sie dir erklären.
Nur eine der drei Arten stellt wirklichen körperlichen Schmerz dar. Der Moment der Erkenntnis wird nur kurz währen, wird aber möglicherweise entscheidend sein, und dann wird eine Phase folgen, in der du vielleicht lieber eine andere Variante gewählt hättest. Allerdings könnte genau diese Tatsache für die Veränderung sorgen. Vielleicht sagst du dir dann: 'Nein, das will ich nicht noch mal erleben' und gerade deswegen wirst du dir danken, vielleicht.
Möglichkeit eins: Nennen wir es plötzliches Erwachen.
Die zweite Variante ist wirklich ungewiss. Du wirst einen Moment von geradezu schmerzhafter Angst empfinden. Es wird ein genialer Einblick folgen, ein eintauchen in eine neue Welt. Dann wirst du dich retten müssen.
Möglichkeit zwei: Auftauchen.
Für die dritte Art wirst du mir vielleicht niemals danken. Ganz einfach, weil sie zu radikal ist. Du wirst mir eher eine runterhauen, weil es auch die einzige Variante ist, bei der du nur zuschauen darfst. Ich habe sie noch nicht erprobt, aber denke, dass auch sie ihr nötiges tun wird. Der Weg der Erkenntnis ist aber lang hierbei, weil normalerweise erst die Gegenreaktion folgt.
Möglichkeit drei: Verzicht
Du musst mir noch Versprechen, dass du mir die ganze Verantwortung übergibst. Wenn etwas schief geht, bin ich der Schuldige. Du darfst dich nicht wehren.
Also, Johann, welche Möglichkeit wählst du?"
Basilis hatte absichtlich nicht unterbrochen, weil er wusste, wie schlimm es ist auf einer Brücke blind auf etwas warten zu müssen.
Er legte seinen schweren, hundert-Liter Rucksack ab.
Johann antwortete sogleich: "Kann ich nicht alle drei Varianten haben?"
Basilis überlegte, ging auf ihn zu und sagte: "Gut, so soll es sein."

Auf einmal spaltete sich Johanns' Wahrnehmung:
Er spürte einen knallharten Schlag ins Gesicht und gleichzeitig wurde er aber auf einer andere Metaebene hochgehoben, und dann war er plötzlich im freien Fall.
Ja, die Angst. Oh, Gott, der irre hat mich von der Brücke geschmissen. Dabei stand ich doch direkt über der Schnittlinie zwischen Kai und dem Brackwasser. Man konnte doch so gut den Grund erkenn...
Platsch!, und sein Hirn schaltete ab. Für einen kurzen Moment offenbarte sich ihm die gesamte Existenz ohne eine Wertung, sie war ganz einfach nur da.
Dann spürte er die schwerelose Kälte. Er riss sich die Augenbinde vom Kopf, tauchte auf und kletterte die Kaimauer nach oben.
Gleichzeitig sah er, wie Basilis genüsslich grinsend seinen Rucksack entleerte. Johanns Laptop, sein Ipod, Kopfhörer, Maus und Dvd-Sammlung kamen zum Vorschein. Als letztes grinste ihm noch der Button von seiner Knopfsammlung an seiner Fleckenhose entgegen.
Basilis nahm jedes einzelne Stück in die Hand, streckte sie über das Geländer und ließ es fallen.
Da er diesmal weiter links stand, gab es kein Platschen zu hören, sondern einen hohen, dumpfen Knall, als die Geräte auf dem Teer aufprallten.
"Jetzt gib' mir noch dein Handy", sagte Basilis.

Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf

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