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Forum / Poesie und Lyrik
Grenzgedanken

I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte
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Beiträge
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Geschrieben am: 06.12.2010 um 12:00 Uhr
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So, mal wieder nächtliches Geschreibsel von mir.
„Warum glaubst du nicht an die Ewigkeit?“, fragte er sich, als er einen Fuß auf die Stange setzte und testete, wie sehr er rutschen würde. Sein Atem ging schwer, wie wenn er gerade einen heftigen Sprint hinter sich gebracht hätte. Tatsächlich war er etwas gelaufen, aber der Hohe Puls regulierte gerade wohl eher das erwärmen des Körpers. Alle Glieder hatten sich bei dem langsamen Gehen von kurz vorher bis aufs tiefste abgekühlt.
In die Sohlen der grauroten Schuhe hatte sich eine Mischung zwischen Schnee und Eis gedrückt, auch an den herabhängenden Fetzen der Jeans hingen ein paar weiße Flocken. Nur der schwarze Kapuzenpullover mit roten Streifen war unversehrt geblieben.
Es herrschte diffuses Licht. Eine Mischung zwischen Nebel und Tau hing in der Luft, die die grellen Strahlen der Straßenlaternen abhielten und nur teilweise durchließen.
Der linke Schuh auf dem Metallgeländer erzeugte ein sanftes Quietschen, während der Fuß unkontrolliert von links nach rechts schwenkte.
Insgesamt waren fünf solcher niedrigen, hufeisenförmig aufgestellten Geländer hintereinander aufgereiht. Nur etwa armdick, hebten sie sich kaum in dem melierten grau von dem schmutzigen Schnee ab.
Hinter ihm war ein Gehweg, der das Kindergartenareal vor ihm und den Wohnblock hinter ihm voneinander trennte.
Der Fuß hörte auf zu rutschen. Er lehnte sich nach vorn, stellte den Fuß auf und drückte sich ab. Während der Körper sich nach oben bewegte, setzte er den zweiten sofort dazu. Vollkommen unsicher stand er auf dem rutschigen Metall. Natürlich, wie kommt man auch auf die Idee mit solchen Umständen auf einem Geländer zu stehen?
„Warum glaubst du nicht an die Ewigkeit?“, flüsterte er wieder vor sich hin, als er etwas nach hinten kippte, die Füße vom Eisen rutschen ließ und erneut sicheren Boden unter sich spürte.
„Gibt es denn eine Grenze?“, ist die nächste Frage, die er sich, vor sich hin murmelnd, stellte.
Noch einmal den Fuß aufs Geländer, und noch einmal testete er aus, wie man darauf stehen kann.
Es war ein Uhr nachts, hatte Minus fünf Grad Celsius, und ein schwer atmender Junge erörterte die Grenzen des materiellen Seins.
Nach einigen Versuchen setzte er von dem einen Geländer einen Fuß auf das nächste, ließ sich herüberkippen und nahm den zweiten Fuß dazu. Dabei musste er noch ordentlich mit den Armen wedeln, um nicht sofort abzurutschen und mit dem Knie auf der Metallstange zu landen.
„Wieso glaubst du an die Ewigkeit?“, fragte er, eine andere Frage, schon mit etwas mehr überzeugter Stimme, als er von einer Stange zur nächsten tänzelte.
Gehen, ja. Aber Springen? Keinen Kontakt mit der Stange für einen Bruchteil einer Sekunde?
„Ich bin der Steinmetzmeister, ich habe den Meißel in der Hand“, rufte er sanft, als er vom harten Mittelfußkontakt zum Fußballen wechselt. Klar war dies zuerst einfacher, weil die leichte Kuhle in der Mitte des Schuhs einem Sicherheit vorgaukelt, aber mit hoher horizontaler Geschwindigkeit würde man zumindest zur Seite abrutschen. Deshalb wurde nun zum Fußballen gewechselt. Der Kontakt wurde weicher, und schlussendlich, nach über hundert tänzelnden Gängen über die Geländerreihe, auch sicher.
Springen, bei Eis?, fragt er sich. Wie soll denn das funktionieren?, rätselte er weiter, als er beidbeinig vor der Aufgabe stand. Der Kopf sagt deutlich: Nein.
„Wieso glaubst du an die Ewigkeit?“, fragte er wieder, so laut, dass er schon Bammel bekommt, gehört zu werden, und blickte dabei um sich, in all die Lichter, in seinen eigenen Atemdunst und in den Himmel.
Dann sprang er, beidfüssig, ab, die Knie weit nach oben an die Brust gezogen, und landete langsam, fast unendlich federnd auf das Eisen. Die Sohlen gaben nicht einmal ein Geräusch von sich, als die Ballen das Ziel berührten. Für einen kurzen Moment schien es, als sei er sicher, er stellte sich sogar wieder gerade auf, dann folgte jedoch das nervenaufreibende Geräusch, und er drohte nach hinten zu fallen, während seine Füße sich noch vor dem Geländer befanden.
Geistesgegenwärtig, bevor er sich überhaupt im Fallen befand, riss er die Füße erneut an seine Brust, und landete so wieder weich im Schnee.
Gleichzeitig geschockt vor dem fast erfolgten Fall, und doppelt erstaunt, darüber, dass er einerseits fast einen Sprung auf einer bis zur Unendlichkeit rutschigen Geländerstange landen konnte, und über seine so blitzschnelle, geniale Reaktion, blieb er erstmal eine Weile stehen.
„Ha“, schreit er dann in die Nacht hinaus. „Wer sind wir, dass wir uns so unendlich stark fühlen? Es geht noch viel, viel mehr…“, erkannte er, und wiederholte seinen Sprung, landete weich und setzte gleich weiter, fünf präzise Sprünge auf eisglatte Stangen.
Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf
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Krustenbrot
Halbprofi
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Dabei seit 11.2010
134
Beiträge
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Geschrieben am: 06.12.2010 um 12:13 Uhr
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Zitat von I3I_4CKNINJ4: So, mal wieder nächtliches Geschreibsel von mir.
„Warum glaubst du nicht an die Ewigkeit?“, fragte er sich, als er einen Fuß auf die Stange setzte und testete, wie sehr er rutschen würde. Sein Atem ging schwer, wie wenn er gerade einen heftigen Sprint hinter sich gebracht hätte. Tatsächlich war er etwas gelaufen, aber der Hohe Puls regulierte gerade wohl eher das erwärmen des Körpers. Alle Glieder hatten sich bei dem langsamen Gehen von kurz vorher bis aufs tiefste abgekühlt.
In die Sohlen der grauroten Schuhe hatte sich eine Mischung zwischen Schnee und Eis gedrückt, auch an den herabhängenden Fetzen der Jeans hingen ein paar weiße Flocken. Nur der schwarze Kapuzenpullover mit roten Streifen war unversehrt geblieben.
Es herrschte diffuses Licht. Eine Mischung zwischen Nebel und Tau hing in der Luft, die die grellen Strahlen der Straßenlaternen abhielten und nur teilweise durchließen.
Der linke Schuh auf dem Metallgeländer erzeugte ein sanftes Quietschen, während der Fuß unkontrolliert von links nach rechts schwenkte.
Insgesamt waren fünf solcher niedrigen, hufeisenförmig aufgestellten Geländer hintereinander aufgereiht. Nur etwa armdick, hebten sie sich kaum in dem melierten grau von dem schmutzigen Schnee ab.
Hinter ihm war ein Gehweg, der das Kindergartenareal vor ihm und den Wohnblock hinter ihm voneinander trennte.
Der Fuß hörte auf zu rutschen. Er lehnte sich nach vorn, stellte den Fuß auf und drückte sich ab. Während der Körper sich nach oben bewegte, setzte er den zweiten sofort dazu. Vollkommen unsicher stand er auf dem rutschigen Metall. Natürlich, wie kommt man auch auf die Idee mit solchen Umständen auf einem Geländer zu stehen?
„Warum glaubst du nicht an die Ewigkeit?“, flüsterte er wieder vor sich hin, als er etwas nach hinten kippte, die Füße vom Eisen rutschen ließ und erneut sicheren Boden unter sich spürte.
„Gibt es denn eine Grenze?“, ist die nächste Frage, die er sich, vor sich hin murmelnd, stellte.
Noch einmal den Fuß aufs Geländer, und noch einmal testete er aus, wie man darauf stehen kann.
Es war ein Uhr nachts, hatte Minus fünf Grad Celsius, und ein schwer atmender Junge erörterte die Grenzen des materiellen Seins.
Nach einigen Versuchen setzte er von dem einen Geländer einen Fuß auf das nächste, ließ sich herüberkippen und nahm den zweiten Fuß dazu. Dabei musste er noch ordentlich mit den Armen wedeln, um nicht sofort abzurutschen und mit dem Knie auf der Metallstange zu landen.
„Wieso glaubst du an die Ewigkeit?“, fragte er, eine andere Frage, schon mit etwas mehr überzeugter Stimme, als er von einer Stange zur nächsten tänzelte.
Gehen, ja. Aber Springen? Keinen Kontakt mit der Stange für einen Bruchteil einer Sekunde?
„Ich bin der Steinmetzmeister, ich habe den Meißel in der Hand“, rufte er sanft, als er vom harten Mittelfußkontakt zum Fußballen wechselt. Klar war dies zuerst einfacher, weil die leichte Kuhle in der Mitte des Schuhs einem Sicherheit vorgaukelt, aber mit hoher horizontaler Geschwindigkeit würde man zumindest zur Seite abrutschen. Deshalb wurde nun zum Fußballen gewechselt. Der Kontakt wurde weicher, und schlussendlich, nach über hundert tänzelnden Gängen über die Geländerreihe, auch sicher.
Springen, bei Eis?, fragt er sich. Wie soll denn das funktionieren?, rätselte er weiter, als er beidbeinig vor der Aufgabe stand. Der Kopf sagt deutlich: Nein.
„Wieso glaubst du an die Ewigkeit?“, fragte er wieder, so laut, dass er schon Bammel bekommt, gehört zu werden, und blickte dabei um sich, in all die Lichter, in seinen eigenen Atemdunst und in den Himmel.
Dann sprang er, beidfüssig, ab, die Knie weit nach oben an die Brust gezogen, und landete langsam, fast unendlich federnd auf das Eisen. Die Sohlen gaben nicht einmal ein Geräusch von sich, als die Ballen das Ziel berührten. Für einen kurzen Moment schien es, als sei er sicher, er stellte sich sogar wieder gerade auf, dann folgte jedoch das nervenaufreibende Geräusch, und er drohte nach hinten zu fallen, während seine Füße sich noch vor dem Geländer befanden.
Geistesgegenwärtig, bevor er sich überhaupt im Fallen befand, riss er die Füße erneut an seine Brust, und landete so wieder weich im Schnee.
Gleichzeitig geschockt vor dem fast erfolgten Fall, und doppelt erstaunt, darüber, dass er einerseits fast einen Sprung auf einer bis zur Unendlichkeit rutschigen Geländerstange landen konnte, und über seine so blitzschnelle, geniale Reaktion, blieb er erstmal eine Weile stehen.
„Ha“, schreit er dann in die Nacht hinaus. „Wer sind wir, dass wir uns so unendlich stark fühlen? Es geht noch viel, viel mehr…“, erkannte er, und wiederholte seinen Sprung, landete weich und setzte gleich weiter, fünf präzise Sprünge auf eisglatte Stangen.
High Noon, zwischen 24 und 0.
Esst mehr Krustenbrot!
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Wolf95 - 29
Profi
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Dabei seit 03.2010
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Geschrieben am: 06.12.2010 um 15:26 Uhr
Zuletzt editiert am: 06.12.2010 um 15:27 Uhr
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Mal wieder ein sehr interessanter Text von dir. Mir gefällt dein Schreibstil sehr.
Gelungener Text
Mein ist das Wort und das Wort ist das Wissen. Das Wissen ist Macht und Macht ist entrissenes Recht.
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I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte
(offline)
Dabei seit 06.2005
1618
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Geschrieben am: 06.12.2010 um 22:08 Uhr
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An Stil gibt es dieses Mal glaube ich nicht sehr viel, weil ich während dem Schreiben unheimlich auf die konsequente Verwendung des Präteritums achten musste. Komischerweise verfiel ich immer wieder in die Gegenwart. Bei solch vielen Bewegungsbeschreibungen scheint demnach das Präsens besser zu passen.
Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf
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Wolf95 - 29
Profi
(offline)
Dabei seit 03.2010
492
Beiträge
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Geschrieben am: 06.12.2010 um 22:19 Uhr
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Zitat von I3I_4CKNINJ4: An Stil gibt es dieses Mal glaube ich nicht sehr viel, weil ich während dem Schreiben unheimlich auf die konsequente Verwendung des Präteritums achten musste. Komischerweise verfiel ich immer wieder in die Gegenwart. Bei solch vielen Bewegungsbeschreibungen scheint demnach das Präsens besser zu passen.
Man merkt deine Art dennoch sehr aus dem Text heraus.
Das mit der Zeit ist mir gar nicht aufgefallen, da der Inhalt mich so gefesselt hat.
Mein ist das Wort und das Wort ist das Wissen. Das Wissen ist Macht und Macht ist entrissenes Recht.
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dark_passion - 31
Fortgeschrittener
(offline)
Dabei seit 12.2009
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Geschrieben am: 13.01.2011 um 21:46 Uhr
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Also, mein erster Gedanke als ich dein Ende gelesen habe:
Stephen King
Gut, dass kann man jetzt als Kompliment ansehen oder eben nicht.
Aber ich will damit einfach sagen, dass ich dein Ende genial finde.
Wirklich.
Die Mentalität von deiner Story ist wirklich genial, auch wenn ich anfangs Probleme beim Verstehen hatte.
Aber ist das nicht bei allen genialen Schriftstellern so?
Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben ...
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I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte
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Dabei seit 06.2005
1618
Beiträge
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Geschrieben am: 14.01.2011 um 00:11 Uhr
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Weißt du, irgendwie wäre ich dankbar, wenn sich meine Gedankenwelt auch einmal in zwei oder gar einem Wort offenbaren würde.
Allerdings bin ich gerade gut drauf, und habe beschlossen mir selbst zu schmeicheln: Wer ist denn Stephen King?
Gerade das Ende ist doch viel zu abschätzbar. Aber gut, ich nehme es an.
Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf
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Forum / Poesie und Lyrik
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