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Forum / Poesie und Lyrik
Klaus Dieters Geschichten.

I3I_4CKNINJ4 - 35
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Geschrieben am: 15.10.2010 um 14:22 Uhr
Zuletzt editiert am: 15.10.2010 um 14:28 Uhr
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Eigentlich, dachte Klaus-Dieter, würde er ganz gerne einmal Fleisch essen. Den Vorteil zu haben, nicht andauernd auf seine Ernährung achten zu müssen, mit all den Vitaminen, dem Gemüse und den Eiweißen täglich, das wäre echt schön. Einfach mit seiner Ernährung zu schludern, und dabei nicht Angst haben sofort wieder ins Untergewicht abzusinken.
Und vor allem nicht immer die gleichen Fragen beantworten müssen, auf die er sowieso nichts antworten konnte. Wieso war er auch Vegetarier? Darauf gab es keine Antwort, ebenso wenig, wie für ihn die Frage existierte. Fleisch war für ihn nur an lebendigen Wesen interessant.
Wenn er fähig wäre, in den Wald zu gehen und ein Rehkitz niederzuschießen, das Fell abzuziehen und das Wesen auseinander zu säbeln, ja, vielleicht könnte er es dann über sich bringen Fleisch zu essen. Aber er konnte kein Tier töten, also hatte er auch keine Berechtigung eines zu essen. Auch wenn sie immer wieder dieselben Fragen stellten, hatte er einen großen Respekt vor den Fleischessern. Sie konnten einfach ihr Gewissen tottrampeln und fühlten sich auch noch gut damit.
Deswegen fand er auch die Fischerleute interessant. Stundenlang verbrachten sie damit in der Kälte, im Wind, oder im Regen zu sitzen, wartend darauf, dass sich die Rute verspannt, damit sie ihr Futter für diesen Abend bekommen. Ja, die waren sicher im Gleichgewicht, denn sie akzeptierten nicht, dass jemand anderes für sie Mord begeht, damit sie ihren Leckerbissen haben.
An das Leben in der Stadt konnte man sich sogar ein wenig gewöhnen. Dort wurde man nicht wie ein Wesen von einer anderen Welt betrachtet, wenn man keinen Führerschein hatte. Es gab auch keinen, der behauptete, man würde ohne einen Führerschein verenden, da er eine unumgängliche existenzielle Notwendigkeit sei.
Denn hier saßen sie alle in der Straßenbahn, sie waren selbst selbstständig, ohne ein Gas kotzendes Gefährt zu haben. Zwar wussten sie nicht, wie man sich ohne einen Bus oder Bahn 500 Meter weit fortbewegen konnte, aber sie kannten sich gut in der Stadt aus, zumindest auf der U-Bahn-Linienkarte.
Als sich Klaus-Dieter eine Duschstange für seine neue Wohnung bauen wollte, hatte man ihm im Bauhaus versichert, dass dies nur mit einer ausgeschriebenen Duschstange möglich sei. Mit einem Bambusstab gehe es nicht. Wird die Kreativität so zwingend eingeengt durch die Geldgier bei Verkäufern? Jedenfalls macht der hölzerne Stab nun ganz gut seinen Job.
Komisch eigentlich, dass noch kein Bürokrat kam, und ihm verboten hat, die Lampions aus Pappmache an die Glühbirnen zu hängen. Die waren ja auch nicht so gekauft. Nirgends stand auf der Kleister- oder Luftballonverpackung "Auch zum Bauen von Lampen verwendbar" und trotzdem hatte es irgendwie funktioniert.
Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf
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-chocolat - 30
Halbprofi
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Geschrieben am: 15.10.2010 um 19:41 Uhr
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sehr interessante gedanken :) gefällt mir... was noch reinkönnte, aber nicht muss, wäre der bezug zum fleischessen am schluss.
'cause we don't have long, gotta make the most of it!
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Morrigane
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Geschrieben am: 16.10.2010 um 18:32 Uhr
Zuletzt editiert am: 16.10.2010 um 18:36 Uhr
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Mich stört ein wenig, dass die drei Absätze keinen Bezug zueinander haben. Mit Bezug meine ich, dass sie nicht auseinander hervorgehen, sondern unabhängig voneinander stehen. Klar, der Titel suggeriert das ja auch durch den Plural, trotzdem glaube ich, es würde noch mehr wirken, wenn es eine Art Entwicklung gäbe, die durch zusammenhängende Texte erzeugt werden könnte.
Ich weiß nicht, wie bewusst du dir diese Perspektive ausgesucht hast, aber der Text ist ja in der dritten Person geschrieben, und dennoch sehr subjektiv auf den netten Herrn Klaus Dieter zugeschnitten. Da es keine wirkliche Umgebung oder Handlung gibt, handelt es sich wohl um seine Gedanken. Aber die meisten Gedankengänge sind ja eher assoziativ, also haben klare Übergänge. Es sei denn, sie werden von äußeren Eindrücken gelenkt, dann kann es zu Sprüngen kommen. Wenn man jetzt also diesen Text als Schilderung von Klaus Dieters Gedankengängen nimmt, dann könnte ich mich vorstellen, dass er gerade in seiner Wohnung (oder in der Straßenbahn, das wäre auch ein Aufhänger) sitzt, seine Gedanken von den Gegenständen, die er dort vorfindet und seiner negativen Grundstimmung lenken lässt. Man müsste das gar nicht so weit in den Vordergrund heben, aber schon hätte der Text diese Brüche verloren und die Bahn wäre frei für eine dramaturgische Entwicklung, an deren Ende ein optimistischen, zynisches oder resignatives Fazit stehen könnte.
So, jetzt war ich aber arg pingelig. Diese Kritik soll nämlich nicht dein Werk schlecht machen. Im Gegenteil: Gerade der erste Gedanke hat einen ordentlichen Kern und ist präzise auf den Punkt gebracht. Auch dein Einstieg wirfft gleich Fragen auf und bringt den Leser dazu, sich nicht gleich wieder weg zu klicken. Leider verfeuerst du dein Pulver nach dem glänzenden ersten Absatz aber recht schnell, denn die nachfolgenden Geschichten haben einfach nicht mehr dieselbe Wucht, ohne jetzt schlecht zu sein.
Insgesamt gefällt mir dein Schreibstil. An einer Stelle schlägt der spöttische Grundton allerdings meiner Meinung nach ein wenig zu weit aus: bei den Gas kotzenden Gefährten. Aber ansonsten ist der der Sache gemäß subtil und zynisch gehalten.
Hm...
Fazit: Pädagogisch wertvoll. :)
Lecker Senf für alle!
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I3I_4CKNINJ4 - 35
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Geschrieben am: 17.10.2010 um 21:32 Uhr
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Klaus Dieter war im Regen spazieren. Natürlich mit seiner ganz eigenen dümmlich-naiven Art. Zuerst einmal hatte er in kurzer Hose dem Treffen der Wiener Stadtaffen beigewohnt, die sich stolz mit dieser Bezeichnung brüsten würden. Ja, denn sie lieben das umhergehüpfe, -gedrehe und -gefliege. Traceure nennt man sie auch. Also diejenigen, die einen Sport betreiben, von dem keiner so richtig weiß, was es ist, aber wenn man es sieht, dann weiß man es sofort: Ach die, die sich nicht um die Heiligkeit von Menschen erbauter Häuslichkeit kümmern, ich glaub "Parkour" nennt man das.
Mehrere Tage hatte er sich auf dieses Treffen gefreut. Im Bezirk "Liesing" wurde eine große Baustelle aufgesucht, wo sich die Menschen sogleich in Gibbons verwandeln durften: Schwingen, springen und schwingen über viele, viele Stangen.
Als sie dann aber gleich danach mit dem Loch im Bauch zum großen M liefen, um sich ihrerseits nach dem kreativen Bewegungstraining den Magen mit maschinellen Elite-Geschmacksverstärkern zu verderben, wusste Klaus Dieter, dass er wieder weiter suchen musste.
"Finde mir einen Menschen, der nicht Sport betreibt, um damit sein Idealgewicht zu halten. Er soll ernsthaft leben, und nicht mit totem Gewissen Dinge fressen, die einen Produktionsweg von mehreren Tausend Kilometern haben. Er soll sich sosehr nach Ewigkeit sehnen, dass er beim Anblick von einer Sternschnuppe in einer klaren, melancholischen Nacht, nicht zufrieden ist, sondern es ihm sein Herz sosehr an seiner Leidenschaft verzehrt. Finde mir einen Menschen, der sich voll und ganz seiner Sache hingibt" denkt er - und er würde sich verstanden fühlen.
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I3I_4CKNINJ4 - 35
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Geschrieben am: 24.12.2010 um 18:22 Uhr
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Spätestens Weihnachten reißt jedem Pseudo-Ökologen seine Maske herunter.
Wenn sie es wenigstens zugeben würden, ihre Hand heben und sagen: "Es ist mir wirklich Scheiß egal, was in und mit der Welt passiert. Ich will jetzt als allererstes einmal meine Konsum- und Profilierungssucht stillen."
So denkt Klaus-Dieter und überlegt, die eine, überfettete Hand abschleckend, ob er nicht die freie Hand heben soll. Allerdings fängt jetzt der Film an, auf den er sich das Ganze Jahr gefreut hat, der auch nur einmal jährlich ausgestrahlt wird.
Es gibt ja wirklich nur zwei Arten von Menschen mit Umweltbewusstsein. Die einen sitzen täglich unter einem Schatten spendenden Baum, meditieren und ernähren sich von höchstens ein paar Nüssen täglich. Von denen gibt es sogar wirklich ein paar.
Die andere Sorte allerdings muss meistens damit rechnen, dass sie schnell im Gefängnis landet. Sie sind nämlich absolut von der Zerstörungsgewalt der Maschinisierung überzeugt, und ebenso davon, dass der damit einhergehende Schwund der Menschlichkeit für immer größenwahnsinnigeren Egoismus sorgt. Also entwickeln sie Bomben, Sprengköpfe und elektromagnetische Impulse, um die Welt und die Menschheit von den Maschinen zu befreien. Das geht meistens früher oder später schief. Selbst wenn sie es schaffen sollten, den zweihundertfünfundzwanzig Menschen, die mehr als die Hälfte der gesamten Finanzen und Besitztümer der Welt innehaben, ihre unbeschreibliche Macht wegzunehmen, werden sie von ihren Otto-Normal-Mitmenschen erschlagen werden, weil diese nicht akzeptieren werden, auf ihre Sucht verzichten zu müssen.
Alles andere sind nur Heuchler ihres eigenen Gewissens.
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I3I_4CKNINJ4 - 35
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Geschrieben am: 20.01.2011 um 23:59 Uhr
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Auf der Mädchentoilette
Klaus-Dieter möchte seine Haare schneiden. Schon viel zu lange hat er es vor sich hergeschoben. Sie hängen bereits in die Augen, und wenn er seine Unterlippe über die Oberlippe hält und bläst fliegen ein paar Strähnen in die Luft. Allerdings ist da ein kleines Prioritätenproblem. Dinge, die er nicht von ganzem Herzen machen möchte und keine sinnliche Abhängigkeit dazu besteht, wird er auch nicht sofort umsetzen. Also ist die blonde Pracht noch einmal um ein paar Zentimeter größer geworden, bis schon Spliss, also die Zerteilung der Haarenden zu sehen war.
Derweil wurde Klaus-Dieters Wohnung durch eine großzügige Schere bereichert. Er wollte nämlich Jonglierbälle aus Wolle basteln und hat sich dazu sechs Wollknäuel in mandarinenorange, wellenblau, atomkraftwerksgegnerfarben, kommunistenrot und einem dunkelblau mit ebendieser Schere gekauft.
Zwar war er vorher immer davon überzeugt gewesen, dass es keine besseren Jonglierbälle als handgroße Orangen (oder vielleicht auch schöne, schwere Mangos) gibt, aber irgendwie gefiel die Idee mit federleichten Knäuelchen die Stufe zum sechsten Ball zu trainieren.
Also hatte er zwei Scheiben aus Karton geschnitten und gewickelt, gewickelt gezurrt, gedreht, gekurbelt, ja und einfach nur den Faden unendlich oft durch das Loch in der Mitte gezogen. Jetzt hat einen Feuerball, einen Brunst-und-Wellenball, einen wie das Leben leuchtenden Ball und ein paar mit Zeichen und Mustern drauf.
Jedenfalls lag seit dem die Schere einfach so auf dem Tisch. Der Beschluss auf die zehn Euro für einen professionellen Schnitt zu verzichten, war ja schon längst gekommen, aber erst viel später packte Klaus-Dieter die Schere in die Rechte, einen Haarschopf in die Linke und Schnitt drauf los. Erst ohne Spiegel, dann doch mit dem gläsernem Selbstbildner als Hilfe. Am Ende war er zwar nicht zufrieden, aber es war akzeptabel.
Für die zwei Mädchen in der Boulderhöhle war der Grad der Akzeptanz eher niedriger angesetzt. Sie nahmen es erst hin. Aber, als sie gehen wollten, sagten sie: "Wir schneiden dir jetzt noch schnell die Haare fertig, okay?"
Zwei Minuten später befand sich Klaus-Dieter auf dem Deckel der Mädchentoilette sitzend wieder, mit zwei kichernden Frauen hinter sich. Ich würde ja behaupten, dass man Fantasien haben kann, mit einer Frau in eine Toilette zu gehen, vielleicht auch mit zweien. Aber so sollte das dann nicht ausschauen.
Jedenfalls war der Schnitt danach echt genial.
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I3I_4CKNINJ4 - 35
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Geschrieben am: 23.01.2011 um 00:15 Uhr
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Klaus-Dieter möchte nicht mehr sitzen. Zwar hat er in diesen vier Monaten Stadtleben in einigen Dingen sogar Konsequenz gelernt, beigebracht bekommen, wie die zweite Stufe des Daumendrehens geht und einige, neue Facetten der Unendlichkeit entdeckt, aber jetzt reicht es.
"Wozu über sechs halbe Jahre hinweg seine Lebenskraft täglich ins nichts schießen, um irgendwie an die hundertachtzig Epsilon-catalonische-Titus-Schablonen heranzukommen, damit man am Ende einen Wisch namens Bakkatelle des technischen Wahnsinns in den Händen halten darf, wenn man doch gerade jetzt noch eine Flammenwand aus lebendiger Leidenschaft im Herzen spürt?
Knacken wir den hochgelogenen Bausparvertrag und besorgen uns einen liegenden, dreirädrig-menschlich betriebenen Weltenwander-Panzer. Von der Straße Gibraltars zu dem Ökodorf Tamera in Portugal pedallieren, über Biarritz und Pyrennäen kreisen, französische Wunderbarkeiten Besuchen, die Calenquenküste besteigen, am Col de la Bonette schwitzen, jammern und kreischen, den großen und kleinen Bernhardiner zum Bellen bringen, den Gotthard jagen und auch Stiflsers Mutter einen Titel geben. Italien, Kroatien, Bosnien und die Tschechei, Mazedonien, und überall nur täglich die Pedaldreherei. Sparta bekehren, und auf dem Trike den Bosporus verehren. Dann im Schnelldurchlauf aus dem Iran und Irak afghanischen Brei produzieren, vom Duschanbeikopfbrausensystem tränken lassen und Pamir, Auroville und Kathmandu passieren lassen. Auf zum Pass, der Khardung La, der höchste beradelbare auf Erden solls sein. Bhutan, Burma, Tibet und einmal, zweimal oder dreimal von den Polizisten ausgeführt werden wegen illegaler Einreise. Chinesische Advokaten, mongolische Kameliaten und russische rubelerzwingende Boshaftigkeiten, weil ja immer noch der warme Frieden nicht gekommen ist. Providenija, und nach zehntausend Kilometern im menschenfeindlichsten Land den Sommer Alaskas besuchen, um nach der Kanadaumfahrung auf den rockenden Bergen den ersten Schnee zu begrüßen. In der Nähe Anapus, einem kleinen Dorf der der brasilianischen Region Para, wartet ein gewisser Junge namens JosiValdo noch auf die Einhaltung eines Versprechens. Ich werde ihm ein Fahrrad schenken, und auch mit dem Rad zu ihm fahren, ja.
Von Feuerland schwimmen wir nach Tristan da Cunha, und davon wird über Tanzania nach Hause gefahren.
Darf ich, oder soll ich mich entschuldigen dafür? Mama, Papa, ja ich bin ein gescheitertes Konstrukt. Keinen Ertrag bringt euch die Farm eures Kindes. Sie wurde nur erdrückt von menschlichen Bauten, der Technik und Maschinerie. Ich klage bei Gott, und auch dafür, dass er seinen Sohn nur zur Begnadigung unser aller Sünden sterben ließ. Nein! Kein andrer kann mir mein Gewissen rein waschen. Ich muss sterben, sterben und sterben bis auch jede letzte Zelle des heiligen Balls an Stolz in mir verbrannt ist, bis ich endlich demütig vor der ganzen Welt kann niederknien und sagen: Es gibt niemand schlechteren auf dieser Welt.
Ich möchte lieben, und zwar ohne Vorbehalte, jeden Kaktus und jeden Feigenbaum, jede Lüge und jedes Wort eines jeden Kinder-, Helden-, oder Denkerwesens. Ich möchte ein Mönch sein auf drei Rädern.
Ja, schweigen werde ich lernen."
Wie lange wird es dauern, bis er loszieht?
Wie lange hält er die Zivilisation noch aus?
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