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Forum / Poesie und Lyrik
Nachtmeerüberquerung

Morrigane
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Geschrieben am: 08.10.2010 um 20:06 Uhr
Zuletzt editiert am: 24.09.2011 um 11:33 Uhr
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Nachtmeerüberquerung (1)
Noch bevor sie überhaupt am Ufer angelangt waren, war der Nebel schon so stark geworden, dass sie einander kaum erkennen konnten. Melanor legte seinen Arm um seine Liebste und gemeinsam versuchten sie sich an den letzten Metern auf dem Weg zu halten. Sie schwankten vor Müdigkeit und Erschöpfung. Er war ein schnurgerader Weg, was Melanors Angst ihn zu verfehlen jedoch kaum milderte, da sich an den Seiten der Sumpf auftat.
Die Nähe zu Yaardez war zu spüren und niemals hätte sich Melanor freiwillig auf den Weg gemacht, geschweige denn seine Liebste, die Melanora in Gefahr gebracht.
Sie, die ursprünglich einen anderen Namen getragen hatte, wurde, seitdem er in Ajeton zu Ehren geraten war nur noch respektvoll mit diesem Namen angeredet, welcher sie von Beginn an mit Stolz und Sorge zugleich erfüllte.
Selbst als Melanors Ruhm noch jung war, war sie manchmal darüber betrübt gewesen, ohne zu wissen warum.
Seine Taten und damit sein Name hatten auf sie abgefärbt, ohne dass sie etwas dafür getan hätte.
Aber in den Köpfen der Bewohner Ajetons war sie die Melanora und damit ein Teil von ihm.
Nun, da er in Ungnade gefallen war, hatte sie jener Name noch fester an sein Schicksal gekettet.
Hätte sie sich von ihm gelöst, sie wäre noch immer die Melanora geblieben und damit ein verachtenswertes Geschöpf.
Aber selbst wenn dies nicht so wäre, hätte sie nichts davon abhalten können, ihm auf seinen Wegen zu folgen.
Melanor wusste es und egal wie unpässlich sein Weg war, er dachte stets nur daran, dass sie mit ihm ging, und schuldlos.
Die Melanora hob den Kopf und sog die feuchte Luft in ihre Lungen.
Nur noch wenig Meter trennten sie vom offenen Wasser, sie konnte es riechen.
Wie auf ein Zeichen blieben sie und Melanor stehen. Sie waren an der Kante des Ufers angelangt.
Ein Steg führte sie mitten auf den Fluss hinaus. Hier war der Nebel noch dichter. Es war finsterste Nacht und dennoch sahen sie ihn.
Es war, als leuchte der Nebel aus sich heraus und es war ein geradezu grelles Weiß, dass sich rings um sie erstreckte.
Zögerlichen Schritt übernahm Melanor wieder die Führung und sie betraten den Steg. An seinem Ende zeichnete sich die Fähre ab, die in all der weißen Leere groß wie ein Schiff erschien.
"He Fährmann!", rief Melanor.
Der Nebel verschluckte seine Stimme schon auf wenige Meter, aber der Fährmann schien ihn dennoch gehört zu haben.
Das Boot wendete sich.
Erst jetzt erkannte die beiden, und sie erschraken gleichermaßen darüber, dass der Fährmann selbst das Boot war.
Es war eine grobe Barke, dunkelgrau und aus einem Material, dass so glatt und kühl wie Stein war.
Der Fährmann aber, mit groben Gesichtszügen wie selbst aus Stein gehauen, war mit dem Boot verwachsen, ragte wie eine Gallionsfigur am Bug auf, groß und steinern.
"Steigt auf.", befahl er mit einer Stimme, als habe er auf sie gewartet.
Melanor sah auf seine Liebste hinab, die an seiner Seite klein und schwach wie ein Kind wirkte.
Nie, niemals hätte er sie auf dieses Boot genommen, aber nun, hier im Nebel gab es keine andere Möglichkeit mehr.
Er konnte sie nicht zurücklassen.
Warum waren sie nicht in die Wälder geflohen, warum...
Aber die Müdigkeit erstickte seinen Gedanken.
Melanor erschrak.
Er hatte nicht gewusst, dass es schon hier begann.
Es war eine Müdigkeit, so schwer, dass sie ihn geradezu herabzudrücken schien. Er musste sich zwingen, den Kopf aufrecht zu halten und nicht umzusinken.
Aber zu seiner Beruhigung währte dieser Zustand nur einen Augenblick, danach fühlte er nur noch die Erschöpfung der Reise.
Dennoch wusste er genau, dass die Müdigkeit wiederkommen würde, sobald er auf dem Boot saß und der Nebel seine Gestalt umschlang. Und mit ihr kämen die Träume.
Wer einmal einschlief, der konnte nicht mehr erwachen, die Träume waren zu verlockend, zu intensiv und zu vielfältig.
Es waren alle Träume der Welt, die in dem Nebel vor sich hin schwammen, alle die jemals geträumt worden waren und noch geträumt werden würden.
Selbst die Aussicht, nie wieder zu erwachen, hätte nicht alle experimentierfreudigen Geister abgeschreckt, aber es hieß, dass der Fährmann alle Gäste, die auf der Überfahrt in den ewigen Schlaf versanken in die Sümpfe warf, wo sie unter grässlichen Albträumen qualvoll erstickten.
Melanor wusste, er musste an das andere Ufer des Flusses und er durfte nicht einschlafen, sonst würde er es nicht erreichen.
Im Moment schien alles wieder einfach, auf die Müdigkeit war ein wacher, klarer Bewusstseinszustand gefolgt, aber Melanor wusste, dass die Müdigkeit zurückkäme.
Schwankend betraten sie das Boot.
Die Melanora kauerte sich in eine Ecke der Bank, die an beiden Seiten des Bootes im Innenraum entlanglief.
Er setzte sich daneben und fühlte, wie sie sich an ihn schmiegte. Der Fahrmann sah sich nach den beiden um, dann stieß er seine gewaltige Stake aus Stein in das Flussbett.
Er schien nicht viel reden zu wollen und Melanor schien es, als wusste er warum. Es war nicht in seinem Interesse, die Gäste durch Gespräche wach zu halten.
Es war überhaupt nicht in seinem Interesse, irgendwen wachzuhalten.
Die einen Fahrgäste kamen und gingen, die anderen kamen nur und gingen nie wieder.
Aber keiner von ihnen blieb lange genug, dass es sich gelohnt hätte, mit ihm eine Freundschaft zu beginnen.
morrigane
2010
Lecker Senf für alle!
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schneialx - 38
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Geschrieben am: 08.10.2010 um 20:10 Uhr
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es gibt kein nachtmeer ....es gibt nur das meer ....nachts wie tagsüber
123 Kartoffelbrei ;-)
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killemall
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Geschrieben am: 08.10.2010 um 20:25 Uhr
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Geschrieben am: 08.10.2010 um 21:01 Uhr
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wow
Miau.
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Morrigane
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Geschrieben am: 09.10.2010 um 17:30 Uhr
Zuletzt editiert am: 24.09.2011 um 11:42 Uhr
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Nachtmeerüberquerung (2)
Melanor versuchte, sich im Sitzen aufzurichten um auf der anderen Seite des Bootes über den Rand blicken zu können, doch es war so hoch, dass er kaum mehr als einen Streifen Nebel sah, ein erschreckend greller Nebel, der aus sich selbst zu leuchten schien.
Die Melanora lehnte den Kopf auf seine Schulter. Er blickte besorgt an ihr hinunter und sah, dass sie die Augen bereits halb geschlossen hielt.
"Du musst wach bleiben!", ermahnte er sie streng.
Aber auch ihn überkam eine Welle der Müdigkeit, gegen die er kaum anzukämpfen vermochte.
Er hielt die Augen mit aller Anstrengung offen.
Solange der den Nebel sehen konnte, konnte ihm nichts passieren. Die Melanora hatte sich ebenfalls aufgerichtet und folgte seinem Beispiel.
"Es ist kalt hier.", murmelte sie schließlich.
"Das ist gut.", erwiderte er knapp: "Es wird uns am Schlafen hindern."
Er sah stumm zu, wie der Nebel sich an der Kante des Bootes staute, wie Wasser an einem Damm.
Es ist ein tiefer Nebel, dachte er, nur eine dünne Schicht über diesem See. Hier im Boot ist er nicht.
Es beruhigte ihn.
Er sah neben sich und stellte beunruhigt fest, dass die Melanora erneut zu blinzeln begonnen hatte und in immer kürzeren Abständen die Augen schloss. Er durfte sie nicht alleine lassen. Der Nebel am Rand des Bootes war uninteressant. Es war ihr Gesicht, dass er im Auge behalten musste.
"Wir müssen miteinander reden, um wach zu bleiben.", befahl er: "Es ist wichtig, dass wir uns jetzt nicht aus den Augen verlieren. Solange wir uns ansehen können wir uns gegenseitig warnen. Alleine schaffen wir es nicht, hier hindurch zu kommen, aber zusammen können wir es schaffen."
Die Melanora nickte heftig, wie um den Schlaf aus ihren Augen zu schütteln. Es war eine Bewegung, die zu schnell für sein übermüdetes Gehirn war. Er begann ihr Gesicht in Schlieren zu sehen, die ihrerseits zu einem hellen, strahlenden Nebel wurden, der sich um ihn legte, ihn nach hinten riss, bis er gänzlich darin einzusinken drohte und die Kälte nicht mehr spürte.
"Es ist kalt hier.", hörte er die Melanora hypnotisch murmeln.
Er konnte dem nicht zustimmen.
"Es ist kalt.", wiederholte die Melanora langsam und fast unhörbar, als schliefe sie.
Als schliefe sie - er riss die Augen weiter auf und der Nebel zerstob um ihn.
"Sag etwas!", rief er.
Ihre Augen waren fast geschlossen, aber er war sich sicher, dass sie ihn noch sehen konnte.
"Sag etwas!", schrie er erneut und packte sie an den Schultern. Sie öffnete die Augen und sah ihn verwundert an. Dann sanken ihre Lider wieder hinab.
"Wach auf!", rief er: "Du darfst nicht schlafen."
"Ich schlafe nicht.", brachte sie mühevoll hervor: "Aber es ist nicht einfach. Der Nebel."
"Wir dürfen nicht an den Nebel denken!", sagte er: "Wir müssen an die Zukunft denken! Wir müssen uns vor Augen halten, was wir erreichen werden, wenn wir am anderen Ufer ankommen."
"...vor Augen halten...", murmelte sie und ihre Lider schlossen sich erneut. Er stieß sie so grob an, dass sie aufschrie.
"Sieh mich an.", sagte er: "Sieh mich einfach an, dann kann nichts passieren."
Der Schmerz schien sie wacher gemacht zu haben, wie er erleichtern feststellte.
"Es ist ein furchtbarer Nebel.", sagte sie: "Immer kurz bevor ich die Augen schließe."
"Dann versuche, sie gar nicht mehr zu schließen. Selbst wenn sie austrocknen ist das besser, als wenn du mir zu schlafen beginnst."
Die Melanora legte die Finger an die Augenlider, wie um sie festzuhalten.
Bereits nach wenigen Sekunden schossen ihr Tränen in die Augen, aber sie zwang sich hartnäckig, nicht zu blinzeln.
"Ich glaube es wirkt.", stieß sie mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor.
Melanor blickte zum Rand des Bootes.
Der Nebel musste gestiegen sein. Er begann bereits über die Kante des Bootes zu schwappen.
Wie zähflüssiger Schaum auf Wellenkronen floss er langsam die Bootswand hinab und bildete eine dünne Schicht auf dem Boot. Die Melanora hatte es ebenfalls bemerkt.
Sie hatte die Finger von den Augen genommen und starrte wie hypnotisiert auf den Boden.
"Sieh den Nebel besser nicht an.", sagte Melanor sanft.
Sie hob den Kopf und lächelte ihn an, während der Nebel immer rascher anstieg.
"Ich kann meine Hände nicht mehr sehen.", sagte die Melanora.
Melanora taste durch die Schichten nach ihren Fingern. Sie waren sehr kalt und starr.
"Aber du spürst sie noch.", sagte er: "Du spürst sie doch noch?"
"Wenn du sie hältst. Ja."
Sie saßen sich lange schweigend und blinzelnd gegenüber.
"Ich friere.", sagte die Melanora.
"Ich auch.", antwortete er.
Sie legte den Kopf zurück und er sah sie immer unschärfer. Der Nebel stieg höher und höher und nahm alles ein mit seiner blendenden Weiße.
"Wir müssen miteinander reden!", rief Melanor: "Wenn wir uns schon nicht sehen, müssen wir uns wenigstens hören können."
"Werden wir viele Kinder haben?", fragte die Melanora.
"Bestimmt.", versicherte er.
"Wann wird es wieder Sommer?", fragte sie.
"Bald.", erwiderte er: "Sehr bald."
"Weiter!", rief Melanor: "Weiter! Frag mich noch mehr! "
Das Weiß brannte in seinen Augen und blendete ihn. Selbst mit geschlossenen Augen war es schmerzhaft.
"Ich weiß nichts!"
"Dann lass uns etwas aufsagen, egal was, etwas, das wir schon können."
Der Nebel erreichte vollkommene Dichte und dämpfte die Worte.
"Krähen über Ajeton, über Yaardez Raben!", begann die Melanora schließlich zögerlich.
Es war das Spottlied, das man über Melanor gedichtet hat, nachdem er in Ungnade gefallen war, aber das spielte keine Rolle.
"Weiter!", schrie Melanor: "Weiter!"
"Dort wo einstmals Helden fieln, sterben nun die Knaben."
"Und der alte Meister spricht, lächelnd unter Zähren.", fiel Melanor ein.
"Wer nur sollte diese Brut diesen Winter nähren.", ergänzte die Melanora.
Obwohl Melanor noch immer nichts sah, schien es ihm, als ließe der Nebel nach. Sie schrien die Verse in den Nebel.
"Wer nur führt die Kinderschar in den sichren Tod?", fragte die Melanora.
"Ist es der, den ach so oft, man am Hof gelobt?", erwiderte Melanor.
"Ajeton hat tausendfach, Kinder schon entbehrt.", fuhr die Melanora fort.
Es stimmte, der Nebel ließ nach. Sie mussten der anderen Seite schon sehr nahe sein. Wenn der Nebel nachließ, was das ein Zeichen, dass sie es bald geschafft hatten.
"Hat selbst dieses Wehgeschrei niemanden gelehrt?", ergänzte Melanor.
Täuschte er sich, oder schien dort, zwischen den Nebelschwaden ein Streifen blauer Himmel hervor?
"Krähen über Ajeton!"
"Über Yaardez Raben!"
Der Nebel riss auf. Melanor blickte nach oben in die Sonne, die durch den Riss fiel. Sie waren gerettet!
"Dort wo einst die Helden fieln", schrie er und war erstaunt, dass er keine Antwort bekam.
Er blickte um sich, wo der Nebel nur noch ein milchiger Schleier war, aber er konnte die Melanora nicht finden. Panik überkam ihn. Wohin war sie verschwunden? Sie war doch neben ihm gewesen. Nein, sie konnte nicht fort sein und dennoch war das Boot leer.
In diesem Moment drang ein Funke von einer ungeheuerlichen Gewissheit in sein verwirrtes Gehirn. Er war so stark, dass er die Augen aufriss, sie wirklich aufriss und erwachte.
Eine grelle Schwärze umgab ihn, wo eben noch Morgenlicht gewesen war.
Er war eingeschlafen.
Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er eingeschlafen war.
Sein Herz schlug in einer unnatürlichen Geschwindigkeit. Es war unfassbar, es war geradezu heimtückisch, wie ihn der Schlaf übermannt hatte, aber mehr noch beunruhigte ihn etwas anderes.
Er blickte sich um und hoffte, sein Verdacht würde sich nicht bestätigen.
Neben ihm auf der Bank saß die Melanora. Sie hatte den Kopf zurückgelehnt und die Augen weit aufgerissen.
Sein Herz beruhigte sich etwas. Er fasste ihre Hand und wollte sie zu sich ziehen, aber sie war von einer unnatürlichen Starrheit.
Und auch als er ihr ins Gesicht blickte, blieb ihr Blick weiterhin ins Leere, in eine undefinierbare Ferne gerichtet.
(...)
Lecker Senf für alle!
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I3I_4CKNINJ4 - 35
Experte
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Dabei seit 06.2005
1618
Beiträge
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Geschrieben am: 15.10.2010 um 14:39 Uhr
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Wunderschön wie du den Leser im Nebelschleier versinken lässt. Zwischen der Beschreibung auch noch zu dichten, und es so zu gestalten, dass es einem vorkommt, als lese man das Gedicht in einem Stück.. Echt Wahnsinn kann ich nur sagen.
Ich habe Angst vor dem Tod, doch wenn ich sterbe, dann freue ich mich darauf
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-chocolat - 30
Halbprofi
(offline)
Dabei seit 03.2009
215
Beiträge
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Geschrieben am: 15.10.2010 um 19:47 Uhr
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wunderschön :) genial!
'cause we don't have long, gotta make the most of it!
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