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Forum / Poesie und Lyrik

Straßenköterblues.

Ben_Antilles - 35
Profi (offline)

Dabei seit 07.2005
416 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 13:59 Uhr

Da bin ich also wieder. Sturzbetrunken, in irgendeiner Bar, irgendwo in Ulm, verloren im Strom der Zeit.
Zeit... Ich weiß gar nicht, wie lange ich das jetzt schon tu. Es scheinen Jahrhunderte vergangen zu sein, seit ich das letzte Mal einen meiner Art zu Gesicht bekommen habe. Aber gute Gesellschaft ist eben immer rar, nicht wahr?
Es wird wohl gegen viertel nach drei sein. Die Stimmung ist wie jedes Mal proportional zur Menge des ausgeschenkten Alkohols gestiegen, und mir kommt wieder einmal der Gedanke, dass all diese verlorenen Idioten hier, nach Angst und Verzweiflung stinkend, vor mir auf die Knie sinken würden, wüssten sie, was ich verkörpere. Und wem ich diene. Aber ich halte mich zurück. Noch.
Mein wahrer Name ist mir unbekannt. Manche nennen mich Aeternus, andere nur 'den alten Mann', in meinen Papieren steht Roland von Gifhorn. Und kein Name wird mir gerecht.
Geboren wurde ich 1723 in der kleinen Stadt Szek in Siebenbürgen. Das zumindest konnte ich in Erfahrung bringen. Alles andere, jegliche Erinnerung vor 1921, ist aus meinen Gedanken verschwunden. Was es ausgelöst hat, weiß ich nicht mehr, genauso wenig, wieso ich überhaupt existiere. Aber das tue ich... mehr oder weniger.
Die Frage meines Namens ist leichter zu beantworten, als die meiner Spezies. Augenscheinlich würde man mich als Mensch bezeichnen. Aber ich habe keinen Pulsschlag. Auch ernähre ich mich nicht, wie mancher jetzt eventuell glauben würde, von Blut. Ich esse ganz normal, wie jeder andere auch. Aber im eigentlichen Sinne 'leben' war mir wohl niemals zugedacht. Aber ihr wolltet ja meine Geschichte hören, richtig?
Ich sitze also dort zusammengesunken auf dem Barhocker. Die Lautsprecher dieser Lokalität dröhnen mir die Ohren mit elektronischer Popmusik zu, und das ist eindeutig zu viel, nach so einem Tag. Ich habe meinen Job verloren. Ja, tatsächlich, man hat mich zum wiederholten male rausgeschmissen, und ich habe verdammt miese Laune. Und was macht der arbeitslose Schustergeselle dann? Trinken. Richtig.
Mit schwerem Kopf und beeinträchtigtem Gleichgewichtssinn torkele ich also in Richtung Tür.
Die Nachtluft ist angenehm kühl, und mein Kopf klärt sich wieder ein wenig. Mein Magen ist gefüllt, aber den unbekannten Durst bin ich noch nicht los. Umdrehen? Nein. Neue kneipe. Ist doch logisch. Wohin? Erstmal loslaufen.
Blackout.
Ich komme wieder zu mir. Durst. Das erste, was ich spüre. Wo bin ich? Augen auf. Umsehen.
Ah, der Eselsberg. Hübsche Gegend. Betonburgen und Schrebergärten. Aufstehen, in Bewegung setzen. Ein Blick auf die Uhr. Halb vier. Schon der nächste Tag? Keine Ahnung. Egal. Durst. Du musst trinken. Beweg dich!
Also gehe ich die Straße entlang weiter, geleitet von meinem Geruchssinn. Ich blinzele und bin schon einen Kilometer weit gekommen. Heillos verlaufen, immer auf dem richtigen Pfad.
Da! Leuchtreklame. Hin. Augen scharfstellen. Nicht identifizierbar, aber der goldene Ochse daneben gibt mir Auskunft über die Natur des Gebäudes. Man findet ihn überall in Ulm, und er ist das Ortsschild der Heimatstadt jeden Alkoholikers: Taberna, mein Zuhause.
In Wahrheit steht er für mittelklassiges Bier. Mir ist alles recht, hauptsache, der Durst schwindet.
Loslaufen. Türe auf. Netter Schankraum. Bunte Menschen. Schlechte Musik. Schlechtere Luft. Mieses Karma.
"Eine Halbe bitte." Höre ich mich sagen. Warum? Na weil ich durst habe, deshalb.
Aber ich brauche nichts zu trinken.
Das Bier kommt. In die Tasche greifen. Münzen rausholen. Silbern-Gold? Ja, die und eine mit 'ner Fünf drauf. Zwei Euro und fünfzig Cent. Das dürfte reichen. Ich lass es hinter die Bar klimpern und trinke.
Blackout.
Die Sonne scheint. Ich öffne die Augen. Mein Kopf ist klar, keine Schmerzen. Augen auf.
Ah, eine Zelle. Wieder. Die Türe steht offen. Wieder.
"Gut geschlafen, alter Mann?" Höre ich. So fühle ich mich auch. Gesicht in Richtung Tür drehen. Sehen.
Matuschek. Polizist, dick, Hemd nicht in der Hose, Mund mit Marmelade verschmiert. Isst gerade einen Berliner.
"Ja. Sehr gut. Wann und wo?"
"Heute Nacht, dreiviertel Fünf. Im Wald. Was ist passiert?"
"Durst." Sage ich und stehe auf. Beim verlassen der Zelle werde ich kurz dem Spiegel gewahr und starre eine Sekunde ungläubig hinein.
Keine Falte auf meinen Zügen. Die Mundwinkel leicht zu einem Lächeln gehoben. Der Bart sorgsam gepflegt. Lange Haare. Vielleicht zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt. Wenn da nicht die Augen wären. Grün und voller Wahnsinn. Ich hasse sie. Hasse dieses Gesicht. Liebe es gleichzeitig.
Ich blinzele. Löse mich. Gehe weiter. Ignoriere die Polizeistation.
Draußen.
Es ist früher Morgen. Ich bin nüchtern. Die Zeit ist ein Fluss, und ich sitze in einem Boot und fahre stromaufwärts.
Durst.
Nichts trinken, alter mann. Suche. Wonach dürstet es dir?
Die Straße entlang. Gässchen durchstreifen. Menschen riechen überall gleich.
Aber dort, dort ist sie. Mein Durst ist groß. Ich folge ihr.
Sie unterhält sich mit einer Freundin. Wie alt sind die beiden? Ich schätze, beide Mitte Zwanzig. Ich blinzele. Wir sind auf den Wiesen an der Donau. Sie verabschiedet sich von ihrer Freundin und spaziert das Ufer entlang in Richtung Brücke. Ich folge ihr.
Sie hört mein Lied. Und muss sich fügen.
Unter der Brücke bleibt sie stehen. Wir sind unbeobachtet. Ich stehe vor ihr, und sie sieht mich an und lächelt. Wir beide sind Roboter, auf gewisse Art und Weise.
Ich nehme sie in die Arme und trinke. Das ist meine Bestimmung. Ich trinke Hass von den Menschen, und mache sie frei.
Ihr Leben war nicht gut, mit vierzehn vergewaltigt, mit siebzehn prostituiert, mit neunzehn Heroinabhängig. All das trinke ich.
Nun hatte sie eine schöne Kindheit, ist noch Jungfrau, schüchtern und frisch verliebt. Und so entlasse ich sie aus meiner Umarmung. Sie verschwindet. Morgen wird sie sich fragen, was gestern passiert ist, und es mit einer schönen Erinnerung füllen. Ich jedoch frage mich dann nur, warum ich wieder durstig bin.
Blackout.
Ich liege in meinem erbrochenen unter derselben Brücke. Es ist Abend. Keiner hat mich bemerkt. Ich wasche mich am Ufer, meine Kleidung trocknet in Sekunden, auch das ist meine Magie.
Zurück am Ufer entlang. Die Kinder der Subkulturen toben herum, verloren in ihrem Alkoholexzess, vertieft in Küsse und Vielweiberei. Liebe, wo man nur hinsieht.
Ich habe Durst. Vielleicht sollte ich wieder in eine Bar gehen?

Aber entrinnen kann ich dennoch nicht.
Morgen, ja, morgen musst du wieder trinken, alter Mann.
____________________________________________________________

Ursprünglich war diese Kurzgeschichte ein Geburtstagsgeschenk, vielleicht gefällt sie euch. Lasst mich wissen, was ihr davon haltet.
MfG
Bane.


"Können sie mir sagen, wie ich zum Münster komme, oder soll ich mich einfach selber ficken?"

Yuu_
Fortgeschrittener (offline)

Dabei seit 01.2008
94 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 14:10 Uhr

ich find sie toll!
du bist eh so gut darin zu schreiben
liebe grüße =)

// it´s from the green-princess \\

chrono - 36
Halbprofi (offline)

Dabei seit 01.2005
180 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 14:16 Uhr

Wahnsinn *.*

Bis zu Letzt hatte ich nicht darauf kommen können das er die schlechten Errinerungen und das Böse aussaugt..... Ich bin fasziniert von der Kurzgeschichte .... Es reisst jemanden beim Lesen einfach mit ^^

ØlangeweileØ

_Alucard_
Champion (offline)

Dabei seit 12.2005
2499 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 14:18 Uhr
Zuletzt editiert am: 17.06.2010 um 14:18 Uhr

ich bleib dabei...ich will nen zweiten teil...und nen dritten....und n buch und vllt sogar n film

Liebe, Enttäuschung und Tod....was sonst?!

KeinPlan2 - 35
Fortgeschrittener (offline)

Dabei seit 02.2006
72 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 14:44 Uhr

Alter Heftige sache also ich lehs echt ganicht wenn ich nicht muss aber die geschichte is echt gut hat mir echt gefallen und ich wollt und konnt garnet aufhörn zu lehsen Weiter so!!

Lebe dein Leben solange du noch kannst!!!

shcuf - 30
Experte (offline)

Dabei seit 04.2008
1695 Beiträge
Geschrieben am: 17.06.2010 um 15:26 Uhr

wie geil
hast du mal drüber nachgedacht bücher zu schreiben?
_Incubi_ - 34
Halbprofi (offline)

Dabei seit 01.2009
346 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 16:34 Uhr

Du hast den Blues also online gestellt =)
Schön!

Mir hat er schon beim erstlesen gefallen und ich könnts mir immer wieder einverleiben.
Das ist literarisch zwar eine kurzgeschichte.
Aber sie könnte von einem Leben genau so gut wie von einem einzigen gedanken handeln.
Ein Gedanke der zu schnell vergeht und doch so lange andauert das er ein gefühl erzeugt.

Diese eigenschaft, Gedanken in Worte zu fassen ... ich beneide dich =)

Mach weiter mein Freund.

Gruß

fabi.



Visit: http://eulogypolis.blogspot.com/

MachHalt
Profi (offline)

Dabei seit 11.2008
820 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 16:45 Uhr

Echt super (:
wär richtig froh wenn du es nicht nur bei einer Kurzgeschichte belassen würdest (:
Ich denke ich spreche im Worte aller, wenn ich sage, dass wir mehr wollen (:
Morrigane
Profi (offline)

Dabei seit 07.2006
955 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 17:00 Uhr
Zuletzt editiert am: 17.06.2010 um 17:03 Uhr

Hab ne etwas gemischte Einstellung dazu. Liegt auch daran, dass ich beim ersten Durchlesen da eingestiegen bin, als der Erzähler zahlt und geht. Von da an gelesen finde ich die Geschichte richtig gut, du hast einen Schreibstil, der einen wirklich mitreißt.
Dann habe ich die Geschichte noch mal von Anfang an gelesen und war ein wenig enttäuscht. Also, das ist jetzt mein subjektives Empfinden und du musst dich nicht daran richten, aber mir persönlich war es zuviel, dass du die Hintergründe des Erzählers erklärst, bzw. dass er Vampir ist. Das hat der Geschichte meiner Ansicht nach ein wenig von der Magie genommen, die gerade in den Sätzen liegt, die nicht ausgesprochen werden.

Von daher finde ich, dass der ganze Abschnitt von
"...seit ich das letzte Mal einen meiner Art zu Gesicht bekommen habe. Aber gute Gesellschaft ist eben immer rar, nicht wahr?"
bis
"Aber ihr wolltet ja meine Geschichte hören, richtig?"
nicht unbedingt notwendig wäre.

Wenn überhaupt hätte ich diese Erklärung an den Schluss gestellt, aber ich finde, dein Text würde sogar ohne sie gut auskommen. Im Gegenteil würde er dadurch noch etwas Bedrohlicheres erhalten, da man nicht genau weiß, was mit diesem merkwürdigen Typen nicht stimmt, der mal wie ein Alkoholiker, mal wie ein psychopathischer Mörder wirkt, und bei dem erst ganz allmählich dämmert, dass sich noch etwas anderes verbirgt. Bei deinem Schreibstil kannst du dir dieses Stilmittel sogar durchaus leisten, finde ich, er ist subtil genug, um solche Andeutungen zu ermöglichen.

:winker:
lg morrigane

Lecker Senf für alle!

Ben_Antilles - 35
Profi (offline)

Dabei seit 07.2005
416 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 17:03 Uhr

Zitat von Morrigane:

Hab ne etwas gemischte Einstellung dazu. Liegt auch daran, dass ich beim ersten Durchlesen da eingestiegen bin, als der Erzähler zahlt und geht. Von da an gelesen finde ich die Geschichte richtig gut, du hast einen Schreibstil, der einen wirklich mitreißt.
Dann habe ich die Geschichte noch mal von Anfang an gelesen und war ein wenig enttäuscht. Also, das ist jetzt mein subjektives Empfinden und du musst dich nicht daran richten, aber mir persönlich war es zuviel, dass du die Hintergründe des Erzählers erklärst, bzw. dass er Vampir ist. Das hat der Geschichte meiner Ansicht nach ein wenig von der Magie genommen, die gerade in den Sätzen liegt, die nicht ausgesprochen werden. Wenn überhaupt hätte ich diese Erklärung an den Schluss gestellt, aber ich finde, dein Text würde sogar ohne sie gut auskommen. Im Gegenteil würde er dadurch noch etwas Bedrohlicheres erhalten, da man nicht genau weiß, was mit diesem merkwürdigen Typen nicht stimmt, der mal wie ein Alkoholiker, mal wie ein psychopathischer Mörder wirkt, und bei dem erst ganz allmählich dämmert, dass sich noch etwas anderes verbirgt. Bei deinem Schreibstil kannst du dir dieses Stilmittel sogar durchaus leisten, finde ich, er ist subtil genug, um solche Andeutungen zu ermöglichen.

:winker:
lg morrigane



Uuuuh, endlich konstruktive Kritik <3
Danke dir, und auch allen anderen ein großes Thankee!

"Können sie mir sagen, wie ich zum Münster komme, oder soll ich mich einfach selber ficken?"

Orange_Bud - 36
Anfänger (offline)

Dabei seit 03.2010
4 Beiträge
Geschrieben am: 17.06.2010 um 17:13 Uhr

gefällt mir sehr gut ;-)
fände es geil wenn du ne fortsetzung machen würdest...(würde es brennend interesieren was du verkörperst!!)



don`t eat the yellow snow!

elentari - 46
Anfänger (offline)

Dabei seit 05.2010
2 Beiträge
Geschrieben am: 17.06.2010 um 17:16 Uhr

Well,... MOOOAAAR

Hier könnte ihre Werbung stehen!

Ben_Antilles - 35
Profi (offline)

Dabei seit 07.2005
416 Beiträge

Geschrieben am: 17.06.2010 um 17:43 Uhr

[verlinkte Grafik wurde nicht gefunden]

:D

Ist in Arbeit.

"Können sie mir sagen, wie ich zum Münster komme, oder soll ich mich einfach selber ficken?"

elektrosmog - 39
Fortgeschrittener (offline)

Dabei seit 02.2006
94 Beiträge

Geschrieben am: 18.06.2010 um 03:05 Uhr

Hey Benne, giant wall of text hits me critical four 14k of damage ;)

Genau!

SummerBreeze
Profi (offline)

Dabei seit 05.2005
495 Beiträge
Geschrieben am: 18.06.2010 um 03:32 Uhr

Zitat von elektrosmog:

Hey Benne, giant wall of text hits me critical four 14k of damage ;)

...for 14k points... ;-)
Ich wollts mir ja echt komplett durchlesen aber ja muss smog zustimmen... :-D
Sorry Ben

There are only 10 types of different people. Those who understand binary and those who don't.

_Incubi_ - 34
Halbprofi (offline)

Dabei seit 01.2009
346 Beiträge

Geschrieben am: 18.06.2010 um 15:30 Uhr

Zitat von SummerBreeze:

Zitat von elektrosmog:

Hey Benne, giant wall of text hits me critical four 14k of damage ;)

...for 14k points... ;-)
Ich wollts mir ja echt komplett durchlesen aber ja muss smog zustimmen... :-D
Sorry Ben


Lesefaul ist doch die dümmste ausrede.

Visit: http://eulogypolis.blogspot.com/

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