Zitat:
Goth zu sein ist gleichsam Stil und Lebenseinstellung. Es ist eine Art und Weise des Denkens, Protest gegen allgemeine Wertvorstellungen und eine friedliche Auseinandersetzung mit Tabus der Gesellschaft.
Es ist keine gemeinsame Weltanschauung, es gibt kein gemeinsames Ziel und auch steckt keinerlei Religion oder Politik dahinter.
Jeder Goth hat seine eigene Motivation, sich der Szene zugehörig zu fühlen und für einen Jeden bedeutet sie im Endeffekt etwas anderes. Jeder einzelne versteht sie sogar anders, aber dennoch gibt es etwas, was sie verbindet. So haben viele von ihnen einen ausgeprägten schwarzen Humor, einen Fiable für das Kaputte und Krankhafte, was sich manchmal durch kunstvoll zerrissene Kleidung oder morbides Make- Up manifestiert. Viele bringen mit ihrer echten oder geschauspielerten Selbstdestruktivität die Rolle des gequälten Märthyrers fast bis zur Perfektion, aber keines dieser Merkmale erklärt auch nur im Geringsten, was es bedeutet, Goth zu sein.
Einmal kurz ihr äußerliches Erscheinen gesehen, unterwirft sich die heutige Gesellschaft dann selber der Illusion, damit genug über die Goths zu wissen um nun getrost und begründet Abneigung und Vorurteile gegen sie entwickeln zu können. Die Schmuckstücke sind es oftmals, auf die schnell das erste Augenmerk fällt. Und genau so schnell werden sie als Aufruf zum Satanismus verstanden. Mißverstanden. Darauf, das es lediglich Provokation gegen die christliche Kirche ist, daß man mit einem umgedrehten Kreuz oder einem Pentagramm nur seine eigene Ablehnung und Distanz dieser Instanz gegenüber ausdrücken will, darauf kommt keiner. Und darauf, das die Schmuckstücke eventuell auch einfach nur als eben solche angesehen werden, als Accessoires, als Zierde, darauf kommt auch keiner. Das wäre ja auch viel zu einfach...
Perfekt ins Bild passt den meisten Normalos dann natürlich auch gleich noch die Farbe schwarz. Schon immer symbolisch für das Verbotene und Dunkle stehend, für halt alles, woran sich die Gesellschaft nicht traut und worin sie ihren Untergang sieht, projiziert sie natürlich erst recht das pure Böse auf die Goths.
Das schwarz auch die schönen Seiten der Dunkelheit, wie zum Beispiel Romantik, Melancholie oder Sehnsucht, Träume, Stille, Geborgenheit und Schutz symbolisieren kann, das wird vollkommen ignoriert. Die meisten Normalos können oder wollen das gar nicht erst sehen.
Die Farbe schwarz, missverstandene Schmuckstücke, manchmal noch bleiche Gesichter und eigenartige Frisuren, das reicht allemal, um in die Schubladem "Unheimlich" und "Unerklärlich" sortiert zu werden. Und von da aus ist es für die meisten dann leider auch nicht mehr weit bis hin zu "Hölle" und "Teufel".
Dabei ist das äußerliche Erscheinen doch - wenn überhaupt - lediglich eine Ausdrucksform.
Viel mehr kommt es den Goths darauf an, Ihresgleichen zu finden. Menschen zu finden, in deren Gesellschaft sie ihre eigenen Gefühle wie vielleicht Verletzung, Zurückweisung, Einsamkeit oder Trauer besser ausleben können und dabei nicht die Maske der Zufriedenheit und Glückseligkeit tragen müssen, ohne die Großteile der Gesellschaft schon längst nicht mehr auskommen. Mit ihrer meist sehr introvertierten Gefühlswelt fühlen sie sich zu einer Szene hingezogen, die eben genau das verkörpert. Zu einer Szene, die fast ausschließlich aus Menschen mit einem hohen Maß an emotionaler Sensibilität besteht und in der sie ihre Emotionen ausleben können und nicht direkt oder indirekt dazu gezwungen werden, sie zu unterdrücken. Sie sind schlichtweg auf der Suche nach Akzeptanz unter Gleichgesinnten.
Für viele waren es vielleicht auch schmerzhafte Erfahrungen in der Vergangenheit, die die Hauptmotivation darstellten, sich neu zu orientieren.
Dabei guckt keiner von ihnen durch eine rosarote Brille und fordert ständig nach dem Positiven. Die Welt wird vielmehr als ein dunkler Platz mit all seinen Schattenseiten verstanden und vor allen Dingen auch akzeptiert. Viele erkennen dies sogar als Teil ihrer Selbst an und genießen es geradezu, diesen an sich selbst neu gefundenen Teil zu erforschen. In einer Gesellschaft, die Angst vor dem Tod hat, die Vergänglichkeit verleugnet und nach ewiger Jugend und Glückseligkeit ringt, pflegen sie die symbolische Artikulation von Trauer und Tod. Mit ihrem Sinn für das Dunkle und Meancholische stehen sie allemal auf der Schattenseite des Lebens, empfinden dies aber keineswegs als negativ, sondern als angenehm und erfüllend. Dabei darf man sie in keinster Weise als Pessimisten bezeichnen. Viel mehr sind es Realisten, die sich genau an eben die Tabus herantasten, die die Gesellschaft fürchtet.
Die angeblich gesteigerte Todessehnsucht, die ihnen oft unterstellt wird, ist oftmals nur ein völlig falsch verstandenes Interesse für diesen. Des weiteren sind es allesamt Menschen, die den Tod als etwas natürliches ansehen. Sie akzeptieren ihn als Teil des Kreislaufes, als Teil des Ganzen und fürchten ihn daher nicht. Außerdem sind die Goths nicht die einzigen, die sich für das Mysterium Tod interessieren. Allerdings ist ihr Interesse dermaßen groß, das der Tod eigentlich das zentrale Thema in ihrer Kunst, ihrer Lyrik und eben auch ihrer Songtexte ist, die für die Außenstehenden das Beweismittel schlechthin darstellen, um Goths als wieder mal als Satanisten abzustempeln.
Hierzu werden oft fälschlicherweise sogar die Texte von Black Metal Bands herangezogen, die aber nicht das Geringste mit Gothic zu tun haben.
Zu Anfang sprach ich über das Distanzieren der Goths von der Institution Kirche. Dazu noch folgendes: Die Abneigung gegen die Kirche ist nicht ausschließlich in der Gothic Szene vorzufinden. Es handelt sich wohl eindeutig und unumstritten um ein allgemeines Phänomen. Die Kirche ist auf dem Rückzug und ihre Boshaft erreicht immer weniger. Man kann diese Entwicklung begrüßen oder bedauern, an der Tatsache an sich kommt man nicht vorbei.
Aber nur bei den Goths, die diese Einstellung mittels ihres Erscheinungsbildes betonen, wird dies als verwerflich empfunden. Und nur nebenbei erwähnt, gibt es unter den Goths genauso wie Atheisten auch streng gläubige Christen. Allgemein gesehen sind unter den Goths eher ungewöhnliche und selten anzutreffende Weltbilder vertreten. Tilo Wolff, Mirbegründer der Gothic- Band Lacrimosa ist zum Beispiel Mitgleid der neuapostolischen Kirche.
am wichtigsten ist aber : Gothic ist eine Einstellungssache und das äußere Erscheinen ist lediglich eine Ausdrucksform, nicht mehr und nicht weniger. Und sich ausdrücken oder outen will halt nicht jeder.
Nun gibt es nur leider manche Goths, die das zum Verrecken nochmal nicht akzeptieren wollen, die jeden, der vielleicht lieber zu Leder tendiert und dem Samt und Spitze, wie es früher getragen wurde, ein Greul sind oder der sich rein äußerlich vielleicht auch gar nicht outet, mit verachtenden Blicken geradezu überhäufen.
Genau diese Goths, denen das äußerliche Erscheinen eigentlich das wichtigste ist, die Gothic als einen Wettbewerb verstehen, wer sich am schwärzesten kleidet und wer dabei am bösesten gucken kann, genau diese sind es, die aus der Szene heraus diese für die Gesellschaft erst verwundbar machen.