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« Kurzmeldungen 05.11.12
Kurzmeldungen 06.11.12 »

Poetry Slam im Roxy - Große Worte auf der großen Bühne


Große Worte auf der großen Bühne. 
Große Namen und lokale Talente begegnen sich monatlich beim Dichterwettstreit im Roxy — den Sieger kürt das Publikum.
Auf die Teilnehmer warten offene Zuschauer, sechs Minuten Hochspannung und ewiger Ruhm. Oder so ähnlich.. .

Am Samstag,03. November, war es mal wieder soweit – es war Poetry Slam. Doch nicht irgendeiner, sondern der vorletzte in diesem Jahr. Dafür trafen im Roxy acht Poeten aufeinander und trugen Selbstgeschriebenes vor. Jeder von ihnen hatte sechs Minuten Zeit, das Publikum mittels Stimme - ganz ohne Requisiten - zu überzeugen. Wer den lautesten Applaus bekam, durfte ins Finale. Dort traten am Ende die zwei Besten gegeneinander an, um den Sieger des Wettstreits an diesem Abend zu ermitteln.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis auf einige Ausnahmen gab es unter den Zuschauern diesmal nur „Neulinge“ , was sich schon beim Üben des Applauses zeigte:“Das war ja jetzt ein bisschen verhalten. Ich hoffe, wir kriegen Euch noch aus der Reserve!“ lautete der Kommentar der Moderatoren.

Aus diesem Grund wurden auch noch einmal die Grundregeln erläutert. Zum Beispiel, dass Buhrufe unerwünscht seien.Man solle doch lieber seinen Nachbarn angewidert angucken und einfach nicht klatschen. Dann entschied auch schon ein Los, wer den Anfang machen durfte.

Erste Runde: Drogen, fremde Blicke und Möchtegern-Kulturelle

Es traf einen Poeten aus Nersingen - Martin Wegen. Er war übrigens auch der einzige Teilnehmer an diesem Abend, der aus der unmittelbaren Umgebung Ulms kam. Sein Text „Warten am Bahnhof“ kam gut beim Publikum an. 

Mit Sätzen wie „Wegen Unregelmäßigkeiten im Betriebsablauf hält sich der Anschlusszug heute nicht für uns auf“ beschrieb er seine Gedankengänge, die ihn, wenn er mal wieder ungewollt sehr viel Zeit am Bahnhof verbrachte, überkamen. Dass er zwischendurch seinen Text vergaß, wurde dem sympathischen Lockenkopf vom Publikum sofort verziehen, es fühlte sich sogar ein wenig so an, als würde es die Stimmung auflockern.

Danach kam Kaleb Erdmann aus München auf die Bühne. Er war unter anderem der Finalist der Bayerischen Poetry Slam – Meisterschaften gewesen. Laut und überzeugend präsentierte er „Anspruch“, in dem er das Münchner Szeneviertel Glockenbach und vor allem die Menschen, die sich in diesem bewegen, vorstellte.

Mit Sätzen wie „Jeder, der einen Cardigan trägt, denkt, er wäre ein Philosophiestudent in Berlin...“ , „Im Grunde ist es völlig egal, was darunter steht, Hauptsache, es hat nichts mit dem Bild zu tun...“ (zu den ganzen alte-Baum-Bildern bei Facebook und den Kommentaren darunter), „Du willst nach dem Abi nach Berlin? Wahnsinn...(Kunstpause) Wie kreativ!!“ oder auch „ Bei 90 Prozent deiner Aussagen ist 'Halts Maul' die passende Antwort!“ griff er Möchtegern-Kulturelle und vermeindlich Individuelle an und riss das Publikum damit komplett in seinen Bann.

Der dritte Poet war weiblich und somit vielmehr eine Poetin: Alicia aus dem Wunderland trug unter dem Titel "Brausepulver" traurige und sentimentale Zeilen zum Thema Drogen vor. 
In ihrer Geschichte träumt ein drogenabhängiges Mädchen mit ihrem ebenfalls drogenabhängigem Freund Mo („Mo hat ein löchriges Herz“) auf dem Dachboden. „Nimm ein bisschen von dem Brausepulver, dann hast du schöne Träume..
Ihn beschäftigt es, dass er die Bedeutung des Lebens noch nicht gefunden hat, sie will diese für ihn suchen und sagt ihm, er solle warten, bis sie sie gefunden hat. Doch dazu kommt es nicht, da Mo an einer Überdosis stirbt. Das Mädchen ist frustriert und macht ihrem Ärger auf die anderen, alle die wegschauen, Luft: „Jeden Samstag stelle ich mich auf die Straße und brülle ganz laut, damit alle es hören und nicht wegsehen können.“ Doch auch auf ihren Freund ist sie sauer, weil er nicht auf sie gewartet hat.
Der vierte und letzte Teilnehmer der ersten Hälfte war Christian Weitnen aus Augsburg. Mit „Blicke, die die Welt bedeuten“ thematisierte er die Kraft fremder Blicke. 
 Sätze wie „Blicke, die die Welt bedeuten, Blicke von fremden Leuten..“ oder „Denn hier kann man im Kleinen sehen, wie es im Großen passiert. Wenn man sich in den Blicken fremder Leute verliert..“entstanden auch deswegen, weil er, nach eigener Aussage, eigentlich sehr schüchtern sei und daher schon oft gefragt worden war, warum er sich dann auf eine Bühne stelle.

Apropros Bühne: Bevor es nach seinem Auftritt in die Pause ging, war das Publikum an der Reihe. Es musste den besten der vier Poetryslammer, die bisher auf der Bühne gewesen waren, auswählen. Da es zuerst „hippiemäßig für alle vier“ geklatscht hat, entschied eine zweite Applausrunde schließlich. Nach dieser war Kaleb Erdmann der glückliche Sieger der ersten Hälfte.

 

Zweite Runde: Google-Streetview, Touristen und die Erfindung des Rads

Nach der Pause ging es mit Marvin Ruppert aus Marburg weiter, dem amtierenden hessischen Poetryslam-Landesmeister. Er warnte das Publikum gleich vor, dass während seines Textes „Der Witz“ ein Witz kommen würde, der schon öfter nicht verstanden wurde. Erstmal ging es dann aber um das Zusammenleben eines Paares.  „Wir tun das, was wir am besten können – Schweigen...“, gab er die Gedanken des Mannes wieder. Seine Freundin rede viel, vor allem über ihre Diplomarbeit über das klassische Konditionieren, er schweige größtenteils. Es stellt sich dann im Verlauf heraus, dass seine Freundin ihn auf Grund ihrer Arbeit und des dort erworbenen Wissens sehr gut unter Kontrolle hat. Am Ende kommt dann auch noch der versprochene Witz: „Kommt ein Behaviorist, ein Kognitist und ein Soziologist in die Kneipe. Sagt der Barkeeper: 'Soll das ein Witz sein?' “

Nach diesem Auftritt war Martin Sieper aus Salzburg an der Reihe. Der Finalist der deutschen Meisterschaft 2010 gestand gleich am Anfang, dass er bei der Suche nach Titeln gerne die Spiegel-Bestsellerliste durchginge und so verwunderte es dann wohl auch niemanden, als er den Titel seines Textes nannte, der „Bis(s) einer heult“ hieß.
Hier beschrieb er einen chaotischen und peinlichen, aber doch normalen Besuch bei seinen Großeltern, bei dem er seine Freundin dabei hatte erklärte er, dass man seinen Opa wegen dessen Filmwahns schon oft mit Mitarbeitern von Google-Streetview verwechselt hat und die Videos alten Stasiakten gleichen würden.
Außerdem kam Opas Lieblingsmusik - „Die schönsten Bundeswehrmärsche aller Zeiten. Die hast du doch als Kind so geliebt!“ - zur Sprache. Doch auch wenn es um seine Oma ging, hatte das Publikum sehr viel zu lachen. „Kann dein Gameboy eigentlich auch Internet", fragte diese ihn beispielsweise. "Ja, Oma", antwortete er. "Er kann sogar online...' - 'Online? Das ist doch das mit den Nackten?!'“

Im Anschluss folgte Marvin Suckut vom Bodensee, der nun schon das zweite mal im Roxy auftrat. Mit „Reiseüberflutung“ beschrieb er seine vielen Irrfahrten, über die er auch Tagebuch führt. „Liebes Tagebuch! Eben bin ich im wundervollen ???? angekommen...Hier gibt es eine schöne Kirche und eine toll ausgebaute Fußgängerzone..."

In Berlin wollte er dann nicht als Tourist erkannt werden, da die Leute dann ja eh nur das Geld von einem wollen. "Und wenn sie merken, dass du Schwabe bist, dann fragen sie ja auch nur nach, ob du ihnen mal den Bahnhof tieferlegen kannst", weiß er.

Also bestellt er sich mit gestelltem Berliner Dialekt ein original Berliner Frühstück. Als der Wirt dann sagt, sie hätten dies nicht, fragt er 'Sie kommen wohl nicht von hier?' Worauf ihm der Wirt antwortet 'Doch, geboren, aufgewachsen und ich werde hier auch sterben, im schönen Wuppertal...'

Nach diesem Lachmuskeltraining war die zweite Runde des Poetry Slams am Samstag auch fast schon zu Ende. Noch einmal hieß es Ohren gespitzt für die letzte Poetin des Abends: Clara Nielsen aus Bamberg. 

Sie war bereits einmal im Roxy gewesen, beim ersten Poetry Slam, und hatte damals den 1. Platz belegt. Mit ihrem Text „Synästhesie“ widmete sie sich dem Thema, dass früher alles besser gewesen sei. So stieg sie damit ein, dass sie in der falschen Zeit geboren wurde. Sie habe niemals die Chance gehabt, das Rad zu erfinden. Die Neandertaler hatten es da ja viel besser!
Dann sinierte sie darüber, wie schön es gewesen sein muss, im Dunkeln den Weg durch den Garten zum Plumpsklo zu suchen oder im Jahre 1835 in Fürth jubelnd die Bahn zu begrüßen oder 10 Pfennig für eine Kugel Eis zu bezahlen. Dinge, die heute unvorstellbar waren.
Wenn ich daran denke, was ich schon alles vor meinem Leben verpasst habe, sollte man meinen, der Druck sei nicht so groß, etwas im Leben zu verpassen. Doch das klappt auch nicht...
Denn so Einiges hat sie auch während ihrem Leben schon verpasst. Wie zum Beispiel den Termin für den Gelben Sack: „Wenn dann Besuch kommt, stelle ich den Müll einfach in die Abstellkammer und beim nächsten Termin denke ich mir dann: Du hast ja gar keinen Müll!“ Oder wenn sie mal wieder vergisst, den Sperrmüll an die Straße zu stellen: „Manchmal denke ich mir, ich sollte einfach mit dem ganzen Zeug zum Münchner HBF fahren, zum Fundbüro gehen und sagen, ich hätte das alles in der U3 gefunden..“

Insgesamt sehr unterhaltsam reichte ihr Text leider nicht für das Finale, in dem sich dann Marvin Rupert und Kaleb Erdmann gegenüber standen.

 

Das Finale: Aufräumen und ein bisschen Hass

 

Marvin machte hier den Anfang mit dem Text „Das Poster hängt schief“.

Ein Problem, das wohl jeder kennt: Man sitzt an einer wichtigen Arbeit, in diesem Fall derDiplomarbeit, und auf einmal fallen einem zahlreiche Dinge ein, die man noch erledigen muss. So ergeht es auch Marvins Protagonisten. Dieser ordnet beispielsweise seine MP3-Sammlung, in dem er alle illegalen Lieder löscht. „Als ich dann Musik anmachen will, stelle ich fest, dass nichts mehr auf dem Player ist...“

Dann muss er noch unbedingt seine Festplatte defragmentieren und wo man schon mal dabei ist, kann man sie ja auch gleich komplett neu formatieren. Dass die halbfertige Diplomarbeit somit auch entfernt wird, ist nicht weiter tragisch. Manchmal ist ein Neuanfang nicht schlecht.

Staubsaugen macht Spaß! Ich liebe Staubsaugen! Ein bisschen Staubsaugen vor der Diplomarbeit kann nicht schaden, bevor ich hier an Hausstaubvergiftung sterbe..“ Irgendwann steht dann nur noch das Telefon in dem leeren Zimmer.

Als die Freundin seines Bruders anruft, gibt er sich als diesen aus und macht mit ihr Schluss. Dann klingelt das Telefon ein zweites Mal und sein Bruder dran ist. Dieser fragt, ob alles in Ordnung sei und es stellt sich heraus, dass der Protagonist vorübergehend in dessen Wohnung lebt. So schlussfolgert er nach dem Telefonat: „Es wird Zeit, dass mein Bruder mal sein Leben auf die Reihe bekommt und Aufräumen ist ein guter Anfang...

Der zweite Finalist, Kaleb, präsentiert „Ihr habt alle die Frankfurter Schule geschwänzt, ihr Wichser!

Zu Beginn bedankt er sich bei dem Publikum: „Ich bin froh, dass ihr euch noch ein bisschen Hass antut zum Schluss!“ Und Hass ist tatsächlich das, was uns nun entgegenschlägt. Hass gegen all die, die ständig einen Schuldigen für die eigenen Probleme suchen, die er „Wutbürger“ nennt. „...Ständig jeden für die eigene Situation verantwortlich machen, nicht sich selbst! Ist etwa Eddy Murphy Schuld an schlechten Filmen?! Ist Daniela Katzenberger Schuld an der Dummheit?!“ Und man glaubte ihm seine Wut, wie er in das Mikro brüllte, sich über diejenigen ärgerte, die sich über die verspätete Bahn auslassen: „Fahrt doch mit dem Dreirad nach Erlangen, ihr Wichser!!!!

Wirklich jeder bekam sein Fett weg: „Ihr denkt, wenn ihr am Telefon eine Stunde den Servicemitarbeiter anschreit, wird die Welt besser?!?!“ Er ist wütend, das Publikum begeistert. Und selbst für unzufriedene Zuhörer hat Kalle einen Rat: „Und wenn Euch der Text nicht gefallen hat – beschwert Euch beim Mikrofon!!!!“

 

Dass das keiner der Zuschauer machte, war klar, denn jeder der acht Slammer hat das Publikum auf seine ganze eigene Art und Weise begeistert und im Finale gaben Kaleb und Marvin dann noch einmal ihr Bestes.

Am Ende des Samstagabends entschied das Publikum dann:                                              Marvin Rupert ist der Sieger!

 

Vor der Bühne - woher kommt das Publikum?

In der Pause hatte ich auch die Möglichkeit, einmal ein paar der Zuschauer etwas näher kennen zu lernen. Es fiel auf, dass erstaunlich viele von „weit her“ angereist kamen.

Sabrina (27) und Markus (29) sind aus Stuttgart ins Roxy gekommen, das erste Mal hier und haben durch einen Kumpel von der Veranstaltung erfahren. Es gefällt ihnen, sie können sich jedoch nicht vorstellen, einmal selbst teilzunehmen.
Tina (27) aus dem Ruhrgebiet ist zur Zeit zu Besuch bei ihrer Freundin Marina (20) in Stuttgart. Auch den beiden gefällt es gut, Marine ist bereits das zweite Mal hier.
Sandra (39) und Bettina (48) kommen aus Bad Boll bei Göppingen und auch sie sind das erste mal beim Poetry Slam. Erfahren haben sie davon durch die Internetseite des Roxy. Auch bei ihnen gibt es Poetry Slams, diese sind jedoch viel länger und mit Musikpausen dazwischen. Ihre Kinder haben auch Interesse an dem Schreiben von Texten und beide finden es verblüffend, wie selbst 16Jährige schöne und nachdenkliche Sachen aufs Papier bringen.

Veröffentlicht in den Kategorien:Kultur und Stadtgeschehen
Tags: Gedichte, Poeten, Poetry Slam, Roxy, Schreiben, Texte

2 Kommentare zu "Poetry Slam im Roxy - Große Worte auf der großen Bühne"

Frohike - 38
10.11.2012 um 15:10 Uhr
Aua aua, als altem Slam-Begleiter tut mir das schon weh: „Kalle Erdmann“ ist in Wirklichkeit Kaleb Erdmann, Martin heisst Wegen mit Nachnamen, Marvin Suckut (nicht Sukko), und Martin Sieper schreibt man ohne t am Ende :(
ma_fia - 32
11.11.2012 um 00:52 Uhr
Schön, dass du dich damit über die richtigen Kanäle an uns wendest;)
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